Vor kurzem ging in Berlin der vierte Vivavelo-Kongress unter dem Motto „Impulse setzen für: Mehr Fahrrad“ zu Ende. Der pressedienst-fahrrad greift im Interview mit dem Branchenkenner Andreas Hombach vom Stadtmöblierer WSM aktuelle Fragen urbaner Mobilität auf.
[pd-f/ht] Radfahren liegt im Trend. Doch wie steht es um das Engagement der Städte und Gemeinden, das sich allein durch Zahlen und Daten nur unzureichend beschreiben lässt? Ganz nah dran an den kommunalen Entscheidungsträgern ist Andreas Hombach, Vertriebsleiter für Überdachungs- und Fahrradparksysteme beim oberbergischen Stadtmöblierer WSM, den der pressedienst-fahrrad im Interview um eine Bestandsaufnahme gebeten hat.
Herr Hombach, ist Deutschland ein Fahrradland?
„Aus meiner Sicht: Ja! Wir haben wunderschöne Landschaften, die zum Fahrradfahren einladen, wir haben aufgeschlossene Menschen, die unter bestimmten Bedingungen gerne aufs Fahrrad umsteigen, wir haben bedeutende Hersteller, die gute Produkte liefern und ein breites Netz an Fahrradhändlern und -reparaturbetrieben.“
Welchen Stellenwert hat die Fahrradinfrastruktur hierzulande eigentlich historisch betrachtet?
„Tja, in dieser Hinsicht ist Deutschland wohl doch ein Autoland … Viele Städte wurden in den 1950er- und 60er-Jahren im aufblühenden Nachkriegsdeutschland tatsächlich für den motorisierten Verkehr konzipiert. Das Fahrrad galt eher als Arme-Leute-Vehikel; jeder wollte und viele konnten sich einen Pkw leisten. Dementsprechend stand bei den Stadt- und Verkehrsplanern ganz klar der motorisierte Individualverkehr im Fokus. Heute fehlt dann oft der Platz, um auch dem Radverkehr den nötigen Raum zu geben.“
Wie jung ist der Fahrradtrend angesichts unserer althergebrachten Mobilitätsgewohnheiten? Flughäfen oder Messen etwa sind ja oft nur schwer mit dem Fahrrad zu erreichen.
„Das Fahrrad war ja eigentlich immer da – nur wurde es halt weniger und anders genutzt. Zum Sport und zur Freizeitgestaltung gehörte das Fahrrad sicherlich bei vielen dazu – nur im Alltagsverkehr kam es (außer in bestimmten Städten insbesondere mit hohem Studentenanteil) eher weniger vor. Ich stelle fest, dass bei uns das Fahrrad erst in den letzten zehn Jahren den Stellenwert bekommen hat, den es heute aufweist. Natürlich reise auch ich mit dem Pkw, mit Bus und Bahn sowie dem Flugzeug. Aber immer häufiger eben mit dem Fahrrad – und dann oftmals in Kombination mit den vorgenannten Verkehrsmitteln. Gerade die Flughäfen oder die Messen erreiche ich häufiger mit Pkw oder Bahn – aber vor Ort selbst steige ich dann gerne aufs Fahrrad um.“
WSM ist als Stadtmöblierer eine Art Seismograph für langfristige und nachhaltige Entwicklungen. Stellen Sie fest, dass sich Kommunen heute stärker engagieren?
„Ein ganz klares Ja! Die Ursachen hierfür sind sicherlich vielfältig. Mit zunehmendem Radverkehr fordern die Bürger immer mehr Fahrradinfrastruktur in Form geeigneter Radwege und Abstellmöglichkeiten. In diesem Zusammenhang ist sicherlich auch das Engagement des ADFC zu nennen. Andererseits suchen immer mehr Kommunen einen Ausweg aus dem Verkehrskollaps oder wünschen sich freundlichere Innenstädte mit mehr Aufenthaltsqualität – da spielt das Fahrrad oder die Nahmobilität generell eine immer größere Rolle. Die mittlerweile in fast allen Bundesländern existierenden AGFKs (Arbeitsgemeinschaften Fahrradfreundlicher Kommunen, Anm. d. Red.) nehmen sich genau dieses Trends an und bieten Konzepte und Unterstützung. Und dann gibt es ja noch den Nationalen Radverkehrsplan. Ein Hemmschuh sind allerdings oftmals die klammen kommunalen Kassen …“
Treten Kommunen auch mit eigenen Wünschen für Entwicklungen an Sie heran? Hat sich da etwas geändert?
„Was häufiger angefragt wird, sind Lösungen, die sich dem städtischen Gesamtbild anpassen. Das gilt insbesondere für die Farbgebung, manchmal aber auch für das Design. Manche Kommunen haben tatsächlich eigene Lösungen entwickeln lassen, wie etwa die Kölner Nadel.“ (sehr schmaler Bügel mit zwei Holmen)
Was muss aus Ihrer Sicht am dringendsten getan werden, damit mehr Menschen Rad fahren?
„Hier ist eindeutig die Infrastruktur zu nennen. Sie werden kaum mehr Menschen – insbesondere Kinder und ältere MitbürgerInnen – zum Radfahren animieren, wenn dies objektiv gesehen einfach zu gefährlich ist. Das sehe ich bei mir vor Ort in Waldbröl, wo eine Bundesstraße mitten durch den Ort führt, der von einem hohen Anteil an Durchgangsverkehr (auch Schwerlastverkehr) genutzt wird. Radwege oder Schutzstreifen sind hier bisher kaum vorhanden – bleiben nur größere Umwege, die natürlich im Alltagsverkehr, z. B. auf dem Weg zur Arbeit, keine echte Alternative bieten. Aber auch hier bei uns werden gerade die Weichen für eine bessere Fahrradinfrastruktur gestellt. Das Fehlen sicherer und vor allem vor Witterungseinflüssen schützender Fahrradabstellanlagen oder ihr mangelhafter Zustand sind ein weiterer Grund, warum immer noch zu wenige aufs Velo umsteigen.“
Wo liegen die Unterschiede hinsichtlich der Bedürfnisse von Radfahrern in der Stadt und auf dem Land?
„Hier bei uns auf dem Land steht das Thema ‚Verknüpfte Mobilität‘ sicher eher im Vordergrund als in der Stadt, wo mit dem Fahrrad unter Umständen der gesamte Mobilitätsbedarf (bis auf Fernreisen) abgedeckt werden kann. Außerdem stehen bei uns auf dem Land häufig größere Distanzen und sogenannte ‚Bewegte Topografie‘, also durch hügeliges Gelände bedingte Herausforderungen auf der Liste.“
Wie ist die Situation in NRW? Warum sorgen gerade hier aktuell Leuchtturmprojekte wie die Wuppertaler Nordbahntrasse oder der Radschnellweg RS1 für Aufsehen? War das Land immer schon fahrradbegeistert oder schwingen sich die Menschen erst jetzt vermehrt aufs Rad?
„Klar, der Klimawandel, das Thema Gesundheitsvorsorge, der Wellness-Gedanke und der Wille zum Sparen (Kraftstoff) haben dem Fahrrad an sich schon Auftrieb gegeben. Hinzu kommen gerade in den Ballungsgebieten die hohe Verkehrsdichte und die damit verbundenen Staus. Der RS1 wird z. B. dafür sorgen, dass im Ruhrgebiet Distanzen deutlich schneller mit dem Fahrrad als mit dem Pkw überwunden werden können. Das lässt natürlich auch viele Pendler umsteigen. Zu Radwegen umgebaute Bahntrassen haben den Vorteil, dass sie auch in hügeligen oder bergigen Gegenden in der Regel ohne nennenswerte Steigungen zu befahren sind – und das häufig sogar querungsfrei! Da macht Radfahren gleich doppelt Spaß.“
Wie wichtig sind solche Leuchtturmprojekte? Sie sind nur symbolisch oder wird damit nachhaltig etwas bewirkt?
„Extrem wichtig! Leuchtturmprojekt hört sich irgendwie negativ an – doch benötigen wir aus meiner Sicht ganz dringend solche Projekte. Sie sorgen für die notwendige Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit und in der Politik. Maßnahmen zugunsten einer Steigerung des Rad- oder Fußverkehrs gehören aus dem stillen Kämmerlein geholt. Wenn ein Landes- oder Bundespolitiker im Beisein der Presse einen neuen Radschnellweg oder eine neue Radstation eröffnet, ist das doch positiver besetzt als der x-te millionenschwere Abschnitt einer Autobahn.“
Ist es angemessen, immer nach Kopenhagen oder Amsterdam zu schauen oder lenkt das eher davon ab, Lösungen zu finden, die hier sinnvoll sind? Unterscheiden sich da nicht die Voraussetzungen? Zumindest das kulturelle Setting ist ja ein anderes, oder nicht?
„Natürlich sind die Länder und Städte nicht immer direkt miteinander vergleichbar. Auf dem platten Land oder in einer jungen, sich noch entwickelnden Stadt gibt es natürlich mehr Flächen zu verteilen als in einer aus allen Nähten platzenden Großstadt wie etwa Köln. Dennoch hängt es häufig einfach nur vom politischen Willen der Entscheider oder dem Bewusstsein der Nutzer ab. Insbesondere die Niederlande haben dem Radverkehr frühzeitig mehr Bedeutung eingeräumt und keine Autostraße gebaut, ohne auch gleichzeitig einen Radweg anzulegen. Und in Kopenhagen hat es ja eine Revolution der Basis gegeben. Hier haben nicht die Stadtväter (oder -mütter) von sich aus die Voraussetzungen für mehr Radverkehr geschaffen, sondern die BürgerInnen haben es eingefordert! Auf der anderen Seite werfen übrigens mittlerweile auch die beiden genannten und weitere ausländische Städte einen Blick auf die Entwicklungen hier in Deutschland – etwa auf die Aktivitäten der AGFS NRW.“
Haben wir so etwas wie einen Tipping Point, ab dem der Radverkehr so etwas wie ein Selbstläufer wird, schon vor Augen oder sind wir davon noch weit entfernt?
„Das ist noch ein weiter Weg … Dennoch bin ich persönlich guter Dinge, weil Politik, Verbände und Branche zunehmend miteinander im Gespräch sind. Kein Politiker und keine Politikerin kommt mehr an diesem Thema vorbei. Dabei ist die Präsenz der Verbände direkt vor Ort in Berlin sicherlich ein wichtiger Baustein, der vivavelo-Kongress ein weiterer. Und die bereits genannten AGFKs (auch wenn der Ursprung dieser Arbeitsgemeinschaften eine AGFS – nämlich die AGFS in NRW – ist) sorgen für ein Durchdringen des Themas bis in die kommunalen Strukturen hinein.“
Passiert beim Radverkehr manchmal mehr, wenn er weniger zur Sache der Politik gemacht wird und die Fachleute in den Verwaltungen in Ruhe arbeiten können? Oder anders gefragt: Läuft der Radverkehr Gefahr, zu einem politischen Spielball zu werden, wenn in der Debatte zu radzentriert gedacht wird?
„Da ist was dran. In der Politik besteht sicherlich die Gefahr, die Förderung des Radverkehrs lediglich als Aushängeschild zu nutzen. Andererseits benötigt der Radverkehr die Bühne der großen Politik, um mehr Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit zu bekommen. Das Beispiel hier vor Ort in Waldbröl zeigt, dass ein hinsichtlich der Chancen eines veränderten Mobilitätsverhaltens aufgeschlossener Planer oder Amtsleiter mehr bewirken kann als die Politik, indem er in seinen Planungen derartige Veränderungen einfach mit berücksichtigt. Auf der anderen Seite ist er dann allerdings in den Entscheidungsgremien wieder von der Politik abhängig. Es geht also um ein gutes und gesundes Miteinander.“
Haben Sie das Gefühl, dass die Planer selbst zu wenig Rad fahren?
„Wieder ein klares Ja – wenn dies auch nicht für alle Planer gilt! Wie immer im Leben gibt es hier solche und solche … Ein überzeugter Radfahrer wird eine sinnvolle Fahrradinfrastruktur wohl eher im Blick haben als ein Planer ohne diesen Hintergrund. Die Herausforderung liegt dabei in den sinnvollen Lösungen – einfach nur ein paar Radwege hier oder ein Schutzstreifen dort helfen nicht weiter. Was an der einen Stelle gut ist, kann woanders eher hinderlich sein. Nahmobilität muss im Rahmen eines Konzeptes und nicht als Einzelmaßnahme berücksichtigt werden.“
Die Investitionszeiträume für Verkehrsmaßnahmen sind oft sehr lang. Haben Radfahrer hier manchmal unrealistische Erwartungen?
„Das ist einfach nur menschlich. Wenn Sie oder ich uns etwas wünschen, dann wollen wir es ja auch am liebsten gestern haben … Geduld ist im Regelfall nicht bei allen Menschen eine Stärke.“
Gibt es hier Beispiele für pragmatische Lösungen?
„Ja. Pragmatisch ist, wenn BürgerInnen selbst die Initiative ergreifen. Das kann im Sinne einer nachdrücklich und breit aufgestellten Forderung an die verantwortlichen Personen sein oder aber eigenes und direktes Engagement – wie z. B. bei den Bürgerradwegen, wo die BürgerInnen selbst Hand anlegen und von den Kommunen hierbei unterstützt werden.“
Das Verhältnis von Radfahrern und Autofahrern wird von vielen als grundsätzlich konfliktbeladen angesehen. Profitiert möglicherweise nicht auch die jeweils andere Seite von Verbesserungen der Infrastruktur auf der einen bzw. wie kann dafür gesorgt werden? Kennen Sie da vielleicht ein gutes Beispiel?
„Hier sollte man aus meiner Sicht ebenfalls nicht verallgemeinern. Häufig ist der Autofahrer auch Radfahrer – und umgekehrt. Wenn mehr Menschen aufs Fahrrad umsteigen, hat das mittelfristig auch positive Auswirkungen auf die Verkehrsdichte auf den Straßen. Umgekehrt gibt es allerdings schon Beispiele für Fahrradstaus …“
Hat bzw. hatte der E-Bike-Boom auch spürbare Auswirkungen auf Ihr Unternehmen?
„Der Trend der letzten Jahre geht ganz klar in Richtung hochwertige Fahrradabstellanlagen – insbesondere auch hinsichtlich geschlossener Systeme (Fahrradgaragen) oder aber Radhäusern mit begrenztem Zugang. Wichtig ist auch die Möglichkeit, das Fahrrad mit einem hochwertigen Schloss gut anschließen zu können.“
Welche besonderen Anforderungen an die Infrastruktur ergeben sich durch den Erfolg des Fahrrads mit elektrischer Unterstützung?
„Da sind wiederum die Abstellanlagen zu nennen. Ein Pedelec stelle ich lieber in einer abschließbaren Fahrradgarage ab, weil z. B. der Akku potenzielle Diebe anzieht. Idealerweise dann in Verbindung mit einer Ladevorrichtung. Allerdings spielt die Ladeinfrastruktur aufgrund der immer höheren Reichweite der Akkus nach unserer Ansicht nur eine untergeordnete Rolle – insbesondere im Alltagsverkehr. Anders sieht das sicherlich in touristischen Regionen aus und hier vor allem in Gegenden mit starken und langen Anstiegen. Ich persönlich benutze auch regelmäßig ein Pedelec – habe aber eigentlich noch nie eine Ladevorrichtung vermisst. Geladen wird zu Hause, im Hotel, in der Gastronomie oder – wenn es der Arbeitgeber erlaubt – am Arbeitsplatz.“
WSM ist ja primär kein „Fahrradunternehmen“, sondern ein Metallbauer. Welchen Stellenwert nehmen Produkte für Fahrräder in Ihrem Unternehmen ein? Gibt es da so etwas wie einen ideellen Wert?
„Sowohl als auch. Wir sind davon überzeugt, dass mehr Radverkehr eine der Lösungen für die Verkehrsprobleme unserer Zeit darstellt. Wir wissen außerdem, dass nur das Fahrrad eine wirklich emissionsfreie Mobilität darstellt und wir eine Verantwortung gegenüber der aktuellen und den nachfolgenden Generationen haben. Dies sind auch die Gründe, warum wir uns in erheblichem Maße finanziell und personell auf vielfältige Art und Weise in der Radverkehrsförderung engagieren.
Der Anteil des Umsatzes mit Fahrradparksystemen am Gesamtumsatz unseres Unternehmens ist in den letzten 20 Jahren kontinuierlich und stark gestiegen. Insofern nimmt dieser Produktbereich bei uns einen nicht zu unterschätzenden Stellenwert ein – zumal wir als Stadtmöblierer ja durch den Produktbereich Überdachungssysteme gleich die ideale Lösung zwischen dem reinen Fahrradparken und der witterungsgeschützten und diebstahlsicheren Unterbringung bieten.“
[Text&Foto: PD-F]
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