Die Mobilitätswende spielt in der aktuellen politischen und gesellschaftlichen Diskussion eine immer wichtigere Rolle.
Die Internationale Automobilausstellung richtet sich als IAA mobility neu aus, die Idee einer Förderung von Cargobikes sorgt für eine lebhafte mediale Debatte. Der Pressedienst Fahrrad hat vor diesem Hintergrund Verbände und Parteien zu ihren Positionen zur Mobilitätswende befragt.
(pd‑f/af) „Was bedeutet Mobilitätswende für Sie?“
Dass Sprecher:innen von Greenpeace, Fridays for Future oder der Initiative Sand im Getriebe eine im Vergleich zu Automobilverbänden radikale Haltung vertreten, verwundert kaum: „Ohne eine radikale Mobilitätswende wird es nicht gelingen, die Klimaziele von Paris einzuhalten und die Erderwärmung zu stoppen“, heißt es beispielsweise von Attac Deutschland, und Sand im Getriebe sieht in der Mobilitätswende einen der „Knackpunkte in Sachen Klimakrise“ und plante daher während der Internationalen Automobilausstellung eine Aktion zivilen Ungehorsams: „Wir kämpfen für eine radikale Verkehrswende, die die Macht der Autoindustrie beschränkt“.
Attraktiv, umweltfreundlich und für alle
Beim Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) heißt es ganz unaufgeregt: „Verkehrswende bedeutet, dass allen Menschen schon bald ein attraktiver, umweltfreundlicher Angebots-Mix für ihre tägliche Mobilität zur Verfügung steht.“ Nicht viel anders klingt es beim Verkehrsclub Deutschland (VCD): „Eine nachhaltige Mobilitätswende ist (verkehrs-)sicher, umwelt- und sozialverträglich. Damit können alle Menschen in Stadt und Land selbstbestimmt am gesellschaftlichen Leben teilhaben.“
Der unabhängige Branchenverband Verbund Service und Fahrrad (VSF) nutzt ähnliche Worte („Mobilitätswende ist für uns die Vernetzung der emissionsarmen Träger hin zu einem ökologisch sinnvollen, also Ressourcen schonenden, aber trotzdem bequemen, zuverlässigen und intelligenten System“), ebenso der Bundesverband Zukunft Fahrrad (BVZF): „Die Zukunft der Mobilität ist vielfältig, klimagerecht und flexibel. Das Fahrrad ist dafür als Platz und Ressourcen sparendes Verkehrsmittel ohne CO2-Ausstoß zentral.“
Wandel statt Wende
Bei der FDP hadert man mit der Begrifflichkeit: „Wende heißt umkehren, wir wollen aber nach vorne gehen. Häufig wird mit der ‚Mobilitätswende‘ ein Ende des heutigen Individualverkehrs propagiert. Das wird aber weder die Anforderungen des Pariser Klimaschutzabkommens erfüllen noch die gesellschaftliche Teilhabe, insbesondere im ländlichen Raum, gewährleisten.“ Statt eines Verzichts auf Mobilität fordert die FDP stattdessen einen „technologieoffenen Wettbewerb für mehr Nachhaltigkeit im Verkehr. Mobilität ist auch ein Stück Freiheit.“
Beim Allgemeinen Deutschen Automobilclub (ADAC), Europas größtem Verkehrsclub, spricht man lieber von einem „Mobilitätswandel“, da man derzeit einen Transformationsprozess erlebe. Er umfasse weit mehr als die Antriebs- oder Energiewende im Verkehr: „Beim Mobilitätswandel geht es um die Sicherstellung von Mobilität mit weniger Verkehr und um ein neues Verständnis darüber, wie wir insbesondere in unseren Städten leben und mobil sein wollen.“
„Es hakt an der politischen Einsicht“
Wie man es auch bezeichnen mag – was zählt, ist letztendlich die Umsetzung. Was sind also aktuell die dringendsten Aufgaben der Mobilitätswende? Und wo hakt es (noch) und warum?
Beim Verband der Automobilindustrie (VDA), für den Elektrifizierung und Digitalisierung aktuell die treibenden Themen sind, sieht man ein großes Problem bei der Ausstattung mit Ladeinfrastruktur und der Versorgung mit Ökostrom. Der Verband warnt: „Die Komplexität der Transformation darf politisch nicht unterschätzt werden.“ Bei Greenpeace sagt man ganz deutlich: „Es hakt an der politischen Einsicht, dass individueller Autoverkehr die Probleme im Verkehr (CO2-Ausstoß, Flächenfraß, Luftschadstoffe, Verkehrssicherheit und ‑Lärm) verschlimmern wird.“
Auch der VCD nennt neben beispielsweise veralteten Straßenverkehrsgesetzen und falschen Ansätzen in der Verkehrsplanung den „zögerlichen politischen Willen auf Bundes‑, Landes- und kommunaler Ebene für unpopuläre Maßnahmen, die den motorisierten Individualverkehr betreffen“. Als dringende Aufgabe der Mobilitätswende sieht etwa der BVZF die Senkung des CO2-Ausstoßes im Verkehrssektor an. Eine weitere Aufgabe sei die Neuverteilung des öffentlichen Raumes, „das heißt weg vom Blech und mehr Platz für Menschen und eine Verkehrsplanung, bei der die schwächsten Verkehrsteilnehmer:innen im Mittelpunkt stehen.“
„Deutschland ist weiterhin Autoland“
Das Problem: „Deutschland ist weiterhin Autoland“, so der BVZF. Im Verkehrsrecht und bei Steuern werde dem Pkw bisher Vorrang eingeräumt. Krasser formuliert es Sand im Getriebe: „Es ist Zeit, dass wir endlich die Alternativlosigkeit des motorisierten Individualverkehrs in Frage stellen.“
Gleichzeitig ist allen Parteien und Verbänden, egal ob aus dem Automobil‑, Fahrrad- oder Umweltsektor, klar, dass dies gerade in ländlichen Gebieten problematisch ist: „…alternative Mobilitätsangebote zum eigenen Auto [sind] insbesondere auf dem Land in aller Regel nicht verfügbar oder wenig attraktiv“, heißt es beim ADAC und der Verband der Automobilindustrie schreibt: „Wer in weniger dicht besiedelten Regionen lebt, bleibt auf das Auto angewiesen, nutzt aber für kürzere Wege das Fahrrad.“
In diesem Zusammenhang plädieren nicht nur der ADFC oder der Zweirad-Industrie-Verband (ZIV), die politische Interessenvertretung der Fahrradindustrie in Deutschland, für einen „gut ausgebauten ÖPNV“ und die Grünen für ein „sicheres und lückenloses Radwegnetz“.
Das Geld auf die Straße bringen
Ein weiterer Punkt: das Finanzielle. „Aus Sicht des Radverkehrs ist es eine wichtige Aufgabe, das Geld auf die Straße zu bringen“, heißt es beim ZIV. Dabei dürfe man nicht vergessen, dass die Mittel schon erhöht worden seien: „Sie müssen nur endlich umgesetzt werden.“
Ebenso seien „fehlende personelle Ressourcen in Verwaltung, Planung und Bildung“ ein Problem. Das kritisiert auch der Verband des Deutschen Zweiradhandels (VDZ): „In den Ländern fehlt es teils an fachlicher Kompetenz zur entsprechenden Umsetzung. Hier ist die gesamte Politik gefordert, dies besser zu organisieren.“
Fahrrad als Gamechanger für die Verkehrswende
Für den ADFC ist das Fahrrad der „Gamechanger für die Verkehrswende“. Denn nur, wenn Menschen tolle Bedingungen zum Radfahren vorfänden, könnten sie sich überhaupt mal vorstellen, das Auto stehen zu lassen. Das schließt die Frage an: Was kann das Fahrrad für die Mobilitätswende leisten? Und: Was kann es nicht leisten?
Für den BVZF ist klar: „Das Fahrrad kann dafür extrem viel leisten! Die Elektrifizierung des Fahrrads hat die Möglichkeiten noch mal vergrößert. Auch für den Wirtschaftsverkehr ergeben sich neue Möglichkeiten.“
Gerade in Kombination mit anderen Verkehrsmitteln würden Nachteile wie Reichweite und Einschränkungen durch das Wetter aufgehoben, betont der VCD die zentrale Rolle des Fahrrads bei der Mobilitätswende.
FDP und ADAC mahnen, keinen „Konkurrenzkampf der Verkehrsmittel“ anzutreiben oder mit dem moralischen Zeigefinger auf die „Guten“ und die „Bösen“ zu zeigen. Immerhin: „Das Fahrrad kann einen wesentlich größeren Beitrag als heute leisten“, so der ADAC. Wichtig sei jedoch, dass sie [Projekte für den Radverkehr] nicht nur die „Bedingungen für das Radfahren verbessern, sondern Teil einer integrierten Strategie sind, die den Mobilitätswandel und die Stärken aller Verkehrsmittel optimal zur Geltung bringt. Der Stadtverkehr als Gesamtsystem muss schließlich der Nutznießer des Wandels sein.“
Als emissionsfreier Verkehrsträger könne das Fahrrad ein Teil der Lösung sein, erklärt der VSF, und gerade auf Kurzstrecken sei das Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft. Doch: „Die Mobilitätswende kann am Ende aber nur als umfassender Ansatz im intelligent vernetzten Umweltverbund funktionieren, den man zuverlässig und bequem nutzen kann.“
[Text: pd-f, Fotos: VeloStrom]
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