Nachrüstantriebe stehen aktuell hoch im Kurs und versprechen den einfachen Umbau eines Fahrrads zum E‐Bike. Doch das ist mit rechtlichen Folgen verbunden, wie der pressedienst‐fahrrad aufzeigt.
Entscheidend sind verschiedene Normen, Verordnungen, CE‐Richtlinien und Gesetze, denen ein Pedelec entsprechen muss.
[pd‐f/tg] „Machen Sie Ihr Fahrrad ganz einfach zum E‐Bike!“ – mit diesem Slogan werben aktuell Anbieter von E‐Bike‐Nachrüstmotoren. Die Produkte werden als preisgünstige Alternative zu den als solchen entwickelten E‐Bikes angeboten und sind angeblich schnell wie unkompliziert zu montieren.
Die Fachpresse lobt teils überschwänglich die praktischen Möglichkeiten der Umbausätze. Sachverständige sehen das Thema hingegen kritisch.
„Finger weg von Nachrüstmotoren!“, warnte z. B. der Fahrradsachverständige Dirk Zedler in einem Artikel, der zur diesjährigen Eurobike im Fachmagazin Show Daily erschien. Aus rechtlicher Sicht sind die Umrüstbausätze äußerst umstritten, für Händler kann ein Umbau sogar schwerwiegende rechtliche Folgen haben.
Verordnungen, Normen, Regeln
Anders als bei ausschließlich muskelbetriebenen Fahrrädern müssen Pedelecs (Unterstützung bis 25 km/h) neben fahrradspezifischen Normen weiteren Verordnungen, Richtlinien, CE‐Richtlinien und Gesetzen entsprechen.
Diese beinhalten unter anderem mechanische, elektrische und chemische Prüfungen, Risikoanalysen sowie Kennzeichnungs‐, Dokumentations‐, Registrierungs‐ und weitere Verpflichtungen. Sichtbar am Elektrorad wird die Einhaltung der Regeln durch das sogenannte CE‐Kennzeichen, das meist am Unter‐ oder Sattelrohr befestigt ist. Verletzt ein Hersteller seine Pflichten, so müssen die betroffenen Produkte vom Markt genommen werden, bis alle Vorschriften vollständig erfüllt sind.
„Auf Nachfrage muss der Hersteller unterschiedliche Unterlagen und Protokolle der Prüfungen binnen 48 Stunden vorlegen können. Kann er das nicht, droht ein Verkaufsstopp“, warnt Björn Brüggemann, Projektmanager E‐Bike beim Importeur Messingschlager.
Bei S‐Pedelecs, also Elektrorädern mit einer Unterstützung über 25 und bis maximal 45 km/h, stellt sich die rechtliche Situation in vielen Punkten nochmals anders dar. Diese Fahrzeuge werden nämlich als Kleinkrafträder behandelt. „Bei der marktkonformen Inverkehrbringung von Pedelecs ist also viel zu beachten“, so Hendrik Neubauer, Geschäftsführer des Unternehmens Consax, das sich auf die Beratung in der Fahrradindustrie und die Produktion von Fahrrad‐ und Pedelec‐Produkten spezialisiert hat.
Spezielle Testnorm für E‐Bikes
Ein wichtiger Teil der Prüfung ist die spezielle E‐Bike‐Prüfnorm EN 15194, die in einer aktualisierten Form seit wenigen Tagen gültig ist. In der Norm sind mechanische und elektronische Anforderungen und Prüfverfahren speziell für City‐ und Trekking‐E‐Bikes beschrieben.
„Beim Kauf eines Elektrofahrrads, das der EN 15194 entspricht, ist für den Käufer sichergestellt, dass E‐Antrieb und Komponenten den Mindestanforderungen der Europäischen Norm entsprechen und das Zusammenspiel der Komponenten funktioniert“, erklärt Anja Knaus, Pressesprecherin beim E‐Bike‐Pionier Flyer. „Anders als bei Dieselautos müssen E‐Biker jetzt allerdings nicht nachrüsten. Die überarbeitete Norm betrifft nicht bereits verkaufte E‐Bikes“, beschwichtigt Knaus.
Ausnahmen gibt es lediglich für E‐Mountainbikes. „Für diesen Typus wird die mechanische Sicherheit nach der MTB‐Norm ISO 4210 geprüft. Für alle weiteren elektronischen Tests wird wiederum die EN 15194 herangezogen“, so Neubauer.
Kompletttest steht über allem
Darüber hinaus sind eine Risikoanalyse sowie eine Prüfung der Elektromagnetischen Verträglichkeit (kurz EMV) durchzuführen. Bei ersterer muss der Hersteller ausführlich dokumentieren, was alles mit dem E‐Bike nicht gemacht werden darf, um einen möglichen Schaden zu minimieren.
„Das erinnert manchmal ein bisschen an: Denken Sie daran, dass der Kaffee heiß ist“, scherzt Florian Mellin, bei Stevens Bikes zuständig für die E‐Bike‐Zertifizierung. Er unterstreicht jedoch schnell, wie wichtig diese Prüfungen sind: „Der E‐Biker muss auf der sicheren Seite sein und deshalb genau wissen, was er darf und was nicht.“
Bei der EMV‐Prüfung wird das komplette E‐Bike auf seine Störfestigkeit, Störaussendungen und mögliche Entladung statischer Elektrizität geprüft. „Das ist äußerst wichtig, damit die Elektronik nicht von äußeren Signalen, z. B. Polizeifunk, beeinflusst wird“, weiß Anja Knaus.
Die E‐Bikes müssen im kompletten Zustand getestet werden. Es reicht nicht aus, dass alleine der Antrieb über ein CE‐Kennzeichen verfügt und die EMV‐Prüfung bestanden hat. „Es bringt aus unserer Erfahrung nichts, wenn man die Antriebskomponenten einzeln testet. Es muss das ganze System mit dem Zusammenspiel von Antrieb und Fahrrad untersucht werden. So gibt es bereits messbare Veränderungen bei der elektromagnetischen Strahlung, wenn der E‐Biker nur das Licht am Rad einschaltet“, berichtet Mellin.
Tests gehen an den Geldbeutel
Bei der Durchführung derartiger Tests sind die E‐Bike‐Hersteller auf externe Dienstleister angewiesen, was einen erheblichen Mehraufwand an Zeit und Kosten bedeutet. Mit rund 5.000 bis 10.000 Euro pro Radmodell kann für eine Prüfung gerechnet werden – bei möglichen Nachbesserungen sogar noch mehr.
„Gerade bei kleineren Serien spiegelt sich das auch im Preis des kompletten E‐Bikes wider“, sagt Alexander Kraft, Pressesprecher bei HP Velotechnik.
Dazu ergänzt Markus Riese, Geschäftsführer von Riese & Müller: „Wenn ein Modell die CE‐Konformität erhalten hat, gilt das Zeichen auch für alle weiteren Modelle der Serie. Diese müssen dabei nicht exakt gleich ausgestattet sein, sondern können bei der Komponentenwahl abweichen. Kurz gesagt: Bei der EMV‐Prüfung muss alles dran sein, was elektronisch stören kann. Sei es ein Blinker bei Liegerädern, ein zusätzlicher Akku oder der Motor eines anderen Herstellers. Bei uns wird immer das E‐Bike mit der umfangreichsten Ausstattung sowie dem höchsten Gewicht getestet. Das CE‐Kennzeichen zählt anschließend auch für die anderen Räder der Modellserie“, fasst Riese zusammen. Der Darmstädter Hersteller ermöglicht so seinen Kunden per Konfigurator unterschiedliche Ausstattungen der Serien‐E‐Bikes.
Händler trägt bei Umbau das Risiko
Diese Prüfungen müsste ein Fahrradhändler eigenverantwortlich ebenfalls durchführen, wenn er nach einem Umbau ein Fahrrad mit einem Nachrüstmotor in den Verkehr bringt, da es sich rein rechtlich um ein neues Produkt handelt.
„Das müsste für jedes einzelne umgebaute E‐Bike durchgeführt werden. Das bedeutet einen Kosten‐ und Zeitfaktor, der in der Realität für einen Händler nicht umzusetzen ist“, meint Riese.
Laut Neubauer ist es für einen Einzelhändler in der Regel nahezu unmöglich, ein muskelbetriebenes Fahrrad in ein Pedelec umzubauen und dabei gleichzeitig alle einschlägigen Vorschriften zu berücksichtigen. Hinzu kommt, dass Fahrradmechaniker, selbst wenn sie noch so gut geschult sind, kaum die hundertprozentige Eignung von Rahmen und Komponenten für einen E‐Bike‐Umbau feststellen und attestieren können. Ältere Defekte, Unfälle oder Materialermüdung lassen sich nur durch entsprechende Tests feststellen.
„E‐Bikes stellen besonders an die Komponenten höhere Anforderungen, weil größere Kräfte wirken und weil nachweislich mehr und längere Strecken mit dem Rad zurückgelegt werden. Das sind komplett neue Herausforderungen. Deshalb gibt es ja eine eigene Prüfnorm“, erklärt Daniel Hopf, Produktmanager E‐Bike bei der Schweinfurter Winora Group.
Produkthaftung geht verloren
Nur wenn der Radbesitzer den Umbau selbst durchführt, ändert sich die Rechtslage und er darf den Tausch legal vornehmen.
Er braucht dazu kein CE‐Kennzeichen, weil er, anders als der Händler, das umgebaute Fahrrad nicht verkauft, sondern eigenverantwortlich handelt. Allerdings nimmt er dadurch einen direkten Eingriff in die Fahrsicherheit vor und verliert deshalb seinen Anspruch auf Produkthaftung und Gewährleistung.
„Der Hersteller kann sich bei einem Unfall oder Versagen immer darauf berufen, dass das Fahrrad nicht für einen Umbau ausgelegt war“, erklärt Dr. Anja Matthies von der Fahrradrechtsberatung Bikeright.
Zudem können die Heimwerker persönlich haftbar gemacht werden, wenn das E‐Bike aus Unkenntnis oder Absicht schneller als 25 km/h fährt. Die meisten Fahrradhersteller verweigern deshalb den Umbau, da der Aufwand und das Risiko in keinem Verhältnis stehen.
„Wir verneinen strikt Anfragen, bei denen eines unserer analogen Räder in ein E‐Bike umgewandelt werden soll“, so Mellin. Hopf ergänzt: „Bei uns steht direkt in der Betriebsanleitung, dass ein Umrüsten für unsere analogen Räder ausgeschlossen ist. Da es viele unterschiedliche Systeme auf dem Markt gibt, können wir nicht testen, was der Kunde am Ende verbaut. Das Risiko ist einfach zu groß. Ich halte Nachrüsten für sehr fragwürdig.“ Zumal hochwertige Nachrüst‐Sets für „Muskelräder“ häufig nicht viel günstiger sind als ein neues Pedelec.
Umbau nur unter Vorbedingungen
Doch nicht jeder Radhersteller sieht die Nachrüstantriebe derart kritisch.
Der schwäbische Reiseradproduzent Velotraum ist auf individuelle Radaufbauten spezialisiert. Angesprochen auf das Thema CE‐Kennzeichen findet Geschäftsführer Stefan Stiener deutliche Worte: „Trotz Kennzeichnung ist ein Rad nicht zwangsläufig sicher, weil nur die Mindestanforderungen getestet werden. Wir überlegen uns genau, welches Teil an einem E‐Bike verbaut werden darf und machen bei Sicherheit und Risikoanalyse weit mehr als andere Hersteller.“
Für ihn stellt es deshalb kein Problem dar, wenn ein Kunde ein herkömmliches Velotraum‐Rad zu einem E‐Bike nachrüsten möchte. Allerdings schränkt Stiener ein, dass „sowohl Rahmen als auch Antrieb bei uns als Serienmodell in E‐Bike‐Variante erhältlich sein müssen. Nur dann ist die Sicherheit gewährleistet.“
Konkret heißt das: Wird das Rahmen‐Kit sowohl analog als auch mit Hinterradnabenmotor bei Velotraum im Katalog angeboten, sollte ein Nachrüsten des baugleichen Rahmens mit eben diesem Motor möglich sein. Sachverständige bezeichnen solche Rahmentypen als „E‐Bike‐ready“, da sie ein sicheres Umrüsten ermöglichen.
Diese Idee setzt auch HP Velotechnik um. „Alle unsere Liegezwei‐ und -dreiräder sind so konzipiert und getestet, dass sie mit überschaubarem Aufwand zum E‐Bike umgebaut werden können. Dazu muss je nach Kundenwunsch für einen Tretlagermotor der Frontausleger oder für einen Nabenmotor das Hinterrad getauscht werden“, erklärt Alexander Kraft.
Den Umbau, zu dem auch die sichere Akku‐Montage und eine mitunter komplexe Verkabelung gehören, nimmt die Manufaktur aber nur mit den geprüften Systemen aus ihrem Baukastensystem vor: Shimano Steps und Go SwissDrive.
Als besonderen Service bietet HP Velotechnik an, den legalen Umbau am Firmenstandort in Kriftel vorzunehmen, bei dem das dann neue Fahrzeug mit CE‐Zeichen versehen wird: „Dazu nehmen unsere Mechaniker jedes Rad nochmals intensiv unter die Lupe und überprüfen es auf Mängel und Defekte. Manchmal müssen noch weitere Nachrüstarbeiten, wie z. B. an der Beleuchtung, durchgeführt werden, bevor das E‐Bike auf die Straße darf“, so Kraft.
Attraktiv sei die Nachrüstung gerade für jene, die in den nächsten Jahren noch rein auf ihre Muskelkraft vertrauen, später aber die Vorteile ihres Liegerads als Senioren‐ oder Reha‐Fahrzeug auch elektrisch unterstützt genießen wollen.
Vorgefertigt vom Werk aus
Einen anderen Ansatz verfolgt Messingschlager: Gemeinsam mit dem Motorenlieferanten Brose wurde ein sogenanntes E‐Bike‐Premiumkonzept entwickelt. Fahrradhersteller können aus unterschiedlichen Rahmenformen und Batterievarianten ihr E‐Bike‐Konzept zusammenstellen. Anschließend werden die Rahmen nach den Wünschen des Kunden farblich gestaltet und mit Komponenten versehen.
„Alle rechtlich vorgeschriebenen Tests und Prüfungen für Rahmen und Antrieb werden durch uns übernommen“, erklärt Björn Brüggemann. „Wir geben unseren Partnern auch eine Blanko‐Gebrauchsanweisung sowie zusätzlich einen Leitfaden zur Hand, damit sie wissen, welche rechtlichen Anforderungen existieren und was sie selbst noch tun müssen. Dazu zählt auch das Anbringen des CE‐Kennzeichens“, so der Projektmanager weiter.
Das System soll gerade kleinere Hersteller, die sich die aufwendigen Prüfkritieren für E‐Bikes nicht leisten wollen, ansprechen und sie nicht vom E‐Bike‐Boom ausschließen.
„Durch unseren Ansatz werden im Gegensatz zur Eigenentwicklung Geld und Arbeitszeit gespart. Das Rad kann individuell zusammengestellt und designt werden. Da braucht es für die OEMs in Zukunft auch keine Nachrüstmotoren mehr“, zeigt sich Brüggemann erfreut.
Glossar: CE‐Kennzeichen – Wie sieht das aus?
Die Abkürzung CE steht für „Conformité Européenne“. Der Hersteller bestätigt durch das Anbringen, dass sein Produkt, in diesem Falle das E‐Bike, den europäischen CE‐Richtlinien entspricht.
Der CE‐Aufkleber befindet sich meist am Unter‐ oder Sattelrohr (in Ausnahmefällen, z. B. bei Flyer unter dem Akku) und umfasst in der aktuellen Fassung für die Radsaison 2019 neben dem CE‐Kennzeichen auch die Firmenadresse des Herstellers sowie den genauen Produktnamen. Zusätzlich müssen das Baujahr, die Abschaltgeschwindigkeit (25 km/h), die Nenndauerleistung (0,25 Kilowatt) und das zulässige maximale Systemgewicht (E‐Bike, Fahrer und Gepäck) angegeben sein.
Auch der Hinweis, dass das E‐Bike nach EN 15194 geprüft ist (bzw. bei E‐Mountainbikes zusätzlich nach ISO 4210), darf nicht fehlen, ebenso die Kennzeichnung, dass das E‐Bike nicht im Hausmüll entsorgt werden darf.
Eine Sonderregelung für Räder über 25 Kilogramm Eigengewicht: Hier muss explizit das Gesamtgewicht des E‐Bikes im CE‐Kennzeichen stehen. „Das ist z. B. für Mechaniker wichtig, damit sie auf den ersten Blick sehen, wie viel das Rad wiegt, damit sie gegebenenfalls einen anderen Montageständer nutzen“, so Riese.
Zusätzlich erhält man zum Kauf eines E‐Bikes eine CE‐Konformitätserklärung, in der alle Normen nochmals detaillierter beschrieben sind. „Diese liegt im Normalfall der Betriebsanleitung bei“, meint Neubauer.
[Text & Fotos: PD-F]
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