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Fahrradinfrastruktur

Expertenstimmen zum Radwegeverkehrsplan

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Deutschland soll bis 2030 Fahrradland werden. Das ist noch ein weiter Weg. Hier ein paar Stimmen von Experten

Laut dem neuen Nationalen Radverkehrsplan soll Deutschland bis 2030 Fahrradland werden. Doch was sich in der Theorie gut liest, braucht in der Praxis viel Arbeit. In einer Gesprächsrunde des pressedienst-fahrrad diskutierten Vertreter:innen aus der Fahrradbranche über mögliche Maßnahmen und Verbesserungschancen, um dem Radverkehr auf verschiedenen Ebenen mehr Raum zu geben.

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Wasilis von Rauch zeigt sich mit den Nationalen Radverkehrsplan 3.0 eigentlich zufrieden:

„Da stehen eine Menge schlauer Sachen drin“, sagt der Geschäftsführer des Branchenverbandes Zukunft Fahrrad (BVZF). „Das Ziel, den Radverkehr bis 2030 von der Verkehrsleistung zu verdoppeln, ist als Basis nicht schlecht und wir sind jetzt dran, da noch mehr rauszuholen.“ Wie das geschehen kann, zeigte sich bereits im letzten Jahr, als in einigen deutschen Städten Pop-up-Radwege auf Autospuren entstanden, um mehr Platz für Radfahrende zu schaffen. Diese hätten den Radverkehrsanteil in den beteiligten Städten um bis zu 25 Prozent erhöht, wie von Rauch erklärt. Aber es sei auch klar, dass die flächendeckende Umwandlung von städtischem Raum nicht einfach von heute auf morgen und ohne Gegenwind funktioniere.

Radverkehr soll gleichberechtigt werden

„Es braucht hier eine gemeinsame Vision, wie man sich die Städte zusammen entwickelt und vorstellt, dann bekommt man die PS bzw. die Beinkraft gemeinsam auf die Straße“, meint Nils Wigger von Brose. Das Unternehmen ist einerseits Automobilzulieferer, aber auch Hersteller von E‑Bike-Antrieben und kennt somit beide Seiten gut. Aber auch die Bedürfnisse von Fußgänger:innen müssen bei den Planungen und Umverteilungen berücksichtigt werden.

Reinhold Goss, ehrenamtlicher Fahrradbürgermeister von Köln, sieht deshalb Shared-Space-Flächen als eine mögliche Option für Straßenplanung in Wohngebieten. In diesen Verkehrsbereichen sind alle Verkehrsteilnehmenden gleichberechtigt und die Geschwindigkeiten aufeinander anpasst. In der Realität müssen Radfahrende in vielen Städten um ihren Raum aber noch immer sehr kämpfen und „dicke Bretter bohren“, wie Goss betont.

Um die Probleme des Radverkehrs sichtbarer zu machen, wirbt Goss zusätzlich für einen Perspektivwechsel von Autofahrenden. Zusammen Radfahren und Infrastruktur ansehen bringe so manchen Aha-Effekt: „Autofahrenden wird dann erst klar, was Radfahrer:innen zu ihrem Verhalten bewegt, wenn beispielsweise der Radweg einfach abbricht und man nicht mehr weiter kommt“, so Goss. Schnell werde in solchen Situationen offenbar, dass im Gegensatz zum Autoverkehr keine flächendeckende Radlösung geschaffen wurde, um schnell mit dem Rad von A nach B zu kommen. „Diesen Perspektivwechsel erreichen wir nur, wenn wir wirklich mit allen betreffenden Personen gemeinsam Radfahren“, berichtet Goss. Er merke auch immer wieder, dass Radverkehr stark vom bürgerlichen Engagement abhänge. Bei der Umsetzung in den Verwaltungen hapere es hingegen noch.

Für Anke Schäffner, Leiterin Politik und Interessenvertretung beim Zweirad-Industrie-Verband (ZIV), ist es deshalb wichtig, dass der Radverkehr in Zukunft gesetzlich bei der Straßenverkehrsordnung und beim Straßenverkehrsrecht gleichberechtigt zum Autoverkehr eingestuft werde. Solange diese Gleichberechtigung nicht bestehe, würden viele Prozesse und Bearbeitungszeiten für Radverkehrsplanung verlängert, betont Schäffner.

Fördermittel werden nicht abgerufen

Fördermittel sind da, vielfach würden diese aber nicht abgerufen, berichtet Andreas Hombach, Key Account Manager beim Parksystemanbieter WSM. Speziell in kleinstädtischen Bereichen mangele es schlichtweg an Personal, um eine Planung auch umzusetzen. „Wo kein Planer, da keine Infrastruktur“, so Hombach, der anmerkt, dass oftmals bereits die Beantragung der Fördermittel aufgrund von Personalmangel und komplizierten Strukturen nicht weiterverfolgt werde. Sichere und praktische Abstellanlagen speziell für E‑Bikes seien in vielen Städten deshalb Mangelware – was dazu führe, dass die Verkaufszahlen und Nutzung noch nicht auf dem Niveau sind, wie es möglich wäre.

Reinhold Goss bringt zudem einen weiteren alltäglichen Aspekt ins Spiel: „Wenn Besuch nach Hause kommt, wo wird dann das Fahrrad geparkt? Hier braucht es Ideen.“ Er appelliert an die Fahrradindustrie, für Neuheiten und Innovationen zu sorgen.

Radfahrer:innen wollen Technik

Anders als in den bekannten Fahrradnationen Niederlande und Dänemark, wo viele Nutzer:innen mit einfachen Rädern unterwegs sind, sind deutsche Radfahrer:innen sehr technikaffin. Das zeigt beispielsweise die wachsende Bedeutung von E‑Bikes.

„Wirtschaft und Verkehr benötigen Synergien. Wir brauchen gute Infrastruktur und gute Produkte“, sagt Anke Schäffner. Mit einer Branchenstudie wurde die Wirtschaftskraft des Fahrrads in Deutschland unterstrichen und der Politik vor Augen geführt. Dienstrad-Leasing und Kaufprämien bei E‑Cargobikes sind konkrete Beispiele, die zeigen, dass mit staatlicher Unterstützung das Thema schnell durch die Decke geht.



Ronald Bankowsky, Gründer und Geschäftsführer von mein-dienstrad.de begrüßt den neuen Plan. „Endlich ist unsere Idee auch in der Politik angekommen. Dies sehe ich als Meilenstein für unser Unternehmen, aber auch für den Nachhaltigkeitsgedanken in der Gesellschaft. Täglich mit dem eigenen PKW zur Arbeit zu fahren, ist einfach nicht mehr zeitgemäß. Dafür haben wir bereits viele namhafte Kooperationspartner gefunden, darunter Henkel, Euromaster aber auch Kirchen und Krankenhäuser mit vielen tausenden von Mitarbeiter*innen.“



Dabei gibt es aber auch branchenintern noch ungeklärte Fragen, z. B. warum Lastenfahrräder sowohl gefördert als auch geleast werden können, Kinder- und Lastenanhänger hingegen nicht.

„Wir sind ein aktiver Gestalter der Verkehrs- und Klimawende“, sagt Markus Krill, Geschäftsführer des Anhängerspezialisten Croozer. Er fordert, dass Anhänger als leasingfähiges Zubehör aufgenommen werden: „Fahrradanhänger müssen genauso diskutiert werden wie Lastenräder“, so Krill.

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Der Lastenhänger Croozer Cargo am Velomobil Orca.

Auch die Diskussion um S‑Pedelecs ist hier zu nennen. Die schnellen Elektroräder bis 45 km/h Unterstützung dürfen aktuell nicht auf Radwegen fahren – dabei wäre das Rad eine optimale Lösung für Pendler:innen, die längere Strecken zurücklegen müssen und dabei ihr Auto stehen lassen möchten. In Tübingen läuft deshalb ein Modellprojekt, bei dem Radwege für die Fahrzeuge freigegeben sind. „Es hat sich gezeigt, dass die Radwege viel stärker frequentiert werden“, resümiert Julia Werling vom E‑Bike-Anbieter Riese & Müller ein Ergebnis des Modellprojekts.



Politik jetzt in der Pflicht

Die Beispiele zeigen, dass die nächste Bundesregierung schnell klar machen muss, wie sie die Maßnahmen zum Nationalen Radverkehrsplan umsetzen möchte, um Deutschland wirklich zum Fahrradland zu machen.

„Wenn das hundertprozentig ernst genommen wird, kann man wirklich eine Menge erreichen. Es ist aktuell ein krasses Versäumnis der Städte, den Menschen keinen Platz zum Radfahren zu geben“, so von Rauch. Dieser umverteilte Raum müsse dann auch so konzipiert sein, dass ihn alle Radfahrwilligen sicher nutzen können. Darunter fallen beispielsweise auch Menschen mit Handicap, die oftmals auf breitere und größere Gefährte angewiesen sind und deshalb mehr Platz brauchen.

„Platz ist das wichtigste Stichwort. Es geht um die Verteilung von Platz und es zeigt sich, dass viele Menschen auf das Rad umsteigen, wenn der Platz da ist“, fasst Alexander Kraft vom Liegeradspezialisten HP Velotechnik abschließend die Kernbotschaft zusammen.

[Text: PD-F/Baron Mobility Service GmbH | Fotos: PD-F (2), VeloStrom (1)]

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Alexander Theis

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