In der ersten Ausgabe seiner Kolumne geht Marco Brust, Geschäftsführer der velotech GmbH ausführlich auf die Prüfmöglichkeiten für Pedelecs auf dem Leistungsprüfstand eRig ein.
[mb] Die Ansprüche eines Endverbrauchers an ein Pedelec weichen teils deutlich von den normativen Vorschriften / Regulativen ab. Eine hohe Reproduzierbarkeit mit verlässlichen Daten (hohe Messgenauigkeit) lässt sich in Außenmessungen jedoch nicht realisieren. Daher werden grundsätzlich alle Prüfungen für Pedelec-Motoren auf dem Leistungsprüfstand (eRig) durchgeführt.
Die Reichweite stellt für viele Endverbraucher bei einem Pedelec nach wie vor eine sehr wichtige Kenngröße dar. Die Branche hat sich bei vielen Nutzern in den letzten Jahren mit utopischen maximal möglichen Reichweitenangaben nicht unbedingt beliebt gemacht. Es ist zwischen den verschiedenen Herstellern als Verkaufsargument regelrecht ein Kampf um den höheren Reichweitenwert entstanden. Hierbei hat es sich teilweise um Werte mit über 200 km gehandelt. Theoretisch ist dies teilweise sogar möglich, jedoch nicht bei üblicher Nutzung.
Um mehr Vergleichbarkeit zu schaffen und letztendlich auch wieder mehr Vertrauen beim Kunden zu gewinnen wurde beim Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) in Kooperation mit Instituten wie velotech.de der R200-Reichweitentest entwickelt. Hierbei wird der Unterstützungsgrad des Pedelecs mit berücksichtigt.
Der Test wurde primär dafür geschaffen einen möglichst gut vergleichbaren Reichweitenwert mit hoher Reproduzierbarkeit zu erhalten. Er wurde allerdings entsprechend vereinfacht, um ihn auf möglichst vielen Prüfständen durchführen zu können. Dies ist insgesamt definitiv ein großer Zugewinn für die Branche und wird hoffentlich bald ein Ende der irreführenden Reichweitenangaben einläuten.
Letztendlich ist es jedoch sehr problematisch die Reichweite in einem einzigen Kennwert auszudrücken, da sie doch sehr stark vom Nutzerverhalten und den Umgebungsbedingungen abhängt. Es gibt beispielsweise Systeme, die in der Ebene bei mäßiger Leistung und höherer Drehzahl (Radnabenmotoren) sehr gute Ergebnisse erzielen, bergauf allerdings eher schlechte Resultate liefern. Zahlreiche Außenversuche mit verschiedenen Systemen haben gezeigt, dass es sinnvoll ist, eine differenzierte Messung bei verschiedenen Arbeitspunkten durchzuführen.
Die velotech.de GmbH hat sich intensiv mit Reichweitenmessungen beschäftigt und bietet seit 2016 ein äußerst realistisches Prüfkonzept auf dem Leistungsprüfstand eRig an. Hier werden die Systeme unter verschiedenen Gesichtspunkten geprüft. Inzwischen erfreut sich der Test bei sehr vielen Herstellern und Zeitschriften großer Beliebtheit. Je nach Wunsch können zukünftig sowohl die realistischen und aussagekräftigen internen Reichweitentests sowie der neu angedachte R200 durchgeführt werden.
Thermische Standfestigkeit
Pedelecs werden häufig im bergigen Gelände gefahren, um die anstrengenden Anstiege merklich zu erleichtern. Viele Endverbraucher nutzen hierbei die maximale Unterstützungsfunktion des Pedelecs, wobei die Eigenleistung häufig mit gerade mal 100 W nur mäßig zur wirksamen Vortriebsleistung beiträgt.
Wer beispielsweise eine Steigung von 6 % mit einer Systemmasse (Gesamtmasse) von 100 kg überwinden möchte, benötigt für eine Geschwindigkeit von knapp 20 km/h schon über 400 W (mechanische Leistung). Einige Motoren haben schon nach kurzer Zeit starke Probleme die Leistung aufrecht zu erhalten, wobei die schnelle Verringerung der Leistung durch den Fahrer spürbar als sehr unangenehm wahrgenommen wird.
Grundsätzlich gibt es zwei sinnvolle Möglichkeiten die thermische Standfestigkeit zu bewerten:
1. Geregelte Steigung nachfahren:
30 Minuten simulierte Steigung von 6 % (oder anderer Wert), bei maximaler Unterstützungsstufe, Trittfrequenz ca. 60 rpm (oder anderer Wert), Fahrerleistung 100 W (oder anderer Wert). Hierbei kann zu Testbeginn (und an jedem beliebigen Testzeitpunkt) die erzielte Geschwindigkeit sowie die abgegebene mechanische Leistung ermittelt werden. Dies gibt einen sehr realistischen Einblick für den Endverbraucher wie stabil der Motor die Leistung bei langen Anstiegen aufrecht erhält.
2. Geregelte Trittfrequenz gegen „festen Widerstand“ fahren:
System im maximalen Unterstützungsmodus bei so hoher Fahrerleistung betreiben, dass keine weitere Verstärkung mehr stattfindet (Maximalleistung des Motors bei gewünschter Drehzahl ausnutzen) und über eine definierte Zeit bei konstanter Trittfrequenz und Geschwindigkeit laufen lassen. Hier kann man bequem nach definierten Zeitabschnitten die Leistungswerte ablesen. Auch hier kann die maximale Leistungsabgabe über die Zeit zwischen den einzelnen Systemen verglichen werden. Folgendes Beispiel inkl. Diagramm soll den Test veranschaulichen.
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Innerhalb von 8 Minuten bricht die elektrische Leistung von 650 W auf 380 W (Pel) ein
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System zeigt auch bei Außenversuchen starke Schwächen bei längeren Passagen bergauf
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Gerade für Tourenräder sowie MTB ist eine dauerhafte Performance bergauf sehr wichtig
-> Problem: Hersteller muss sein System möglichst kräftig mit hoher Standfestigkeit auslegen, aber trotzdem die Anforderung für die Nenndauerleistung (max. 250 W) gemäß EN 15194 erfüllen
Steuerungskurve
Für den Endverbraucher zählt oftmals ein natürliches Fahrverhalten des Pedelecs. Hierbei hat sich herausgestellt, dass eine lineare Leistungszunahme des Motors in Abhängigkeit der Fahrerleistung von den meisten Testfahrern als angenehm, natürlich empfunden wird.
Darüber hinaus ist es allerdings auch von Bedeutung wie die einzelnen Unterstützungsstufen unterteilt sind und ab welcher Fahrerleistung im maximalen Unterstützungsmodus die maximale Motorleistung zur Verfügung steht. Dies ist gerade für weniger sportliche Fahrer im Bergland sehr interessant.
Das folgende Beispiel soll den Test genauer aufzeigen:
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Fahrerleistung wird stets von (20 – 300) W erhöht
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Bei jedem neuen Durchlauf wird die Unterstützung bis zur maximalen Stufe erhöht
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Es werden wertvolle Erkenntnisse über die Steuerungsstrategie der Unterstützung gewonnen
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Wie unterscheiden sich die einzelnen Stufen; bei welcher Fahrerleistung wird welche Motorleistung freigesetzt etc.
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Bei einer Fahrerleistung von ca. 130 W bekommt der Fahrer im höchsten Unterstützungsmodus die maximale Leistung von ca. 600 W (elektrisch)
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Alle Unterstützungsstufen haben einen linearen Zusammenhang zwischen Pedalleistung und Motorleistung
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Die Unterstützungsstufen unterscheiden sich deutlich voneinander und dieses System wird von vielen Endverbrauchern geschätzt und als angenehm empfunden
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Aus dem ersten Kurvendurchlauf kann der Wirkungsgrad des Systems ohne elektromotorische Unterstützung abgelesen werden. Verhältnis zwischen Fahrerleistung und Straßenleistung im abgeschalteten Zustand (wie angenehm fährt sich das System ohne Motorunterstützung)
Abschaltweg (Normtest EN 15194)
Ein verbindlicher Normtest der EN 15194 sowie ein wichtiges Sicherheitskriterium stellt der sog. Abschaltweg dar. Hierbei wird der Weg definiert, den das Pedelec nach Unterbrechen (Stop) der Pedalbewegung noch zurücklegt bis schließlich der Motor vollständig abschaltet. Folgendes Beispiel soll die Messung erläutern:
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Sinusähnliches Drehmoment an Kurbel wird zügig Unterbrochen
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Kurbel läuft durch Massenträgheit leicht nach
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Motorstrom schaltet innerhalb von t = 210 ms ab
->Abschaltweg wird berechnet: s = t * v
Dieser Test ist gerade für die Konformität sowie auch der Sicherheit des Fahrers im alltäglichen Gebrauch sehr wichtig.
Abschaltrampe / Höchstgeschwindigkeit in der Ebene (Normtest EN 15194)
Hierbei handelt es sich sowohl um einen Normpunkt wie auch einen fahrpraktisch relevanten Punkt:
Ein Pedelec muss bei 25 km/h (+ 10 %) die elektromotorische Unterstützung vollständig abschalten. Hierbei darf die Leistung nicht „schlagartig“ verringert werden, sondern muss bis zum Eintreten der Abschaltgeschwindigkeit fortwährend und gleichmäßig verringert werden. Ein linearer Leistungsabfall über ca. 3 km/h ist hierbei sehr angenehm, da der Endverbraucher sehr gleichmäßig ohne schnelle Antriebsschwankungen in der Ebene fahren kann (kein „On-Off-Gefühl“).
Beispiel:
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Rad beginnt die Leistung ab 23 km/h zu reduzieren
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Abschaltgeschwindigkeit beträgt 25,8 km/h
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Fahrerleistung wird durch Regelung konstant gehalten
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Rad fährt sich auch draußen in der Ebene sehr angenehm, ohne das Gefühl „gegen eine Wand zu fahren“
Drehmomentkurve / Leistungskurve
Jedes Pedelec hat einen „optimalen Drehzahlbereich“ in dem es besonders viel Leistung entfalten kann. Hierbei ist es sehr wichtig, dass das System korrekt auf den Anwendungsbereich abgestimmt ist. Ein sehr sportlicher Fahrer wünscht sich beispielsweise ein Abdeckung des Trittfrequenzbereiches von 60 – 120 rpm, ein Senior hingegen 30 – 60 rpm. Hierbei ist es von Bedeutung, welchen Wirkungsgrad und welche Leistungsentfaltung ein System zeigt.
Beispiele:
System A:
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Höheres Drehmoment und somit höhere Leistung
-
Kräftige Unterstützung bis über 120 U/min
System B:
-
Geringere Leistung über gesamten Drehzahlbereich
-
Unterstützung bricht ab 80 U/min massiv ein und geht bis 100 U/min vollständig zurück
Reichweitentest
Zahlreiche Außenversuche sowie Kooperationsarbeiten mit der Technische Universität Hamburg (TUHH), haben gezeigt, dass eine Reichweitenmessung auf dem Prüfstand sehr gut simuliert werden kann, da alle nötigen Fahrparameter wie zum Beispiel: (Steigung, Gesamtmasse, cw– Wert, Luftwiderstand, Rollreibung etc.) berücksichtigt und abgebildet werden.
Um einen möglichst differenzierten Test zu fahren, wird sowohl die höchste als auch die niedrigste Unterstützungsstufe getestet. Wobei für Steigungen bis 5 % eine Fahrerleistung von 70 W und darüber hinaus von 100 W bei einer Trittfrequenz von ca. 60 rpm verwendet wird.
Ein sehr umfangreicher Abgleichversuch mit einem Testsystem (maximaler Unterstützungsstufe) hat sehr gute Übereinstimmungen mit der Simulation auf dem Prüfstand und der Außenmessung gezeigt.
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Testfahrer fährt außen sauber asphaltierte Streckenabschnitte mit verschiedenen Steigungen bei vordefinierter Leistung: 70 W (0 – 5 %); 100 W (6 – 10 %)
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Messausrüstung erfasst alle wichtigen Kenngrößen
-
Besonders wichtige Parameter: Welche Geschwindigkeit wurde erreicht und wie hoch war der spezifische Energieverbrauch (Wh / km) .
-> Sehr gute Übereinstimmung von Simulation und Außenversuch
Daraus lässt sich ein gutes Prüfszenario ableiten, welches sehr umfangreich die Reichweiteneigenschaften eines Pedelecs wiedergibt.
Messung in höchster und niedrigster Unterstützungsstufe in der Ebene und 6 % bergauf:
Reichweitentest |
|
|
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Testmodell mit xxx Wh Akku |
||||
Modus |
Minimal |
Maximal |
||
Steigung [%] |
0 |
6 |
0 |
6 |
Energieverbrauch [Wh/km] |
3,5 |
11,9 |
4,8 |
20,6 |
Reichweite [km] |
128,6 |
37,8 |
93,7 |
21,8 |
Trittfrequenz [U/min] |
63,9 |
63,2 |
62,2 |
66,1 |
Geschwindigkeit [km/h] |
22,5 |
8,7 |
25,3 |
20,3 |
Fahrerleistung [W] |
70,1 |
100,2 |
70,3 |
100,4 |
Gangwahl |
3 |
10 |
2 |
4 |
Zusätzlich kann bergauf noch der sog. U-Faktor angegeben werden (Leistungsverhältnis zwischen Pedelecmotor und Fahrerleistung).
Die Reichweite wird aus der gemessenen Entladekurve (Gesamtkapazität des Akkus) ermittelt, wobei die zu Verfügung stehende elektrische Energie des Akkus in Abhängigkeit des Entladestroms noch mittels Korrekturtermen berücksichtigt wird.
Wirkungsgradmessung
Die Wirkungsgradmessung steckt grundsätzlich implizit schon in den Messungen der Steuerungskurve, Drehmomentkurve sowie Reichweitentest. Natürlich sind auch gesonderte Wirkungsgradmessungen in definierten Arbeitsbereichen (sowohl mit, als auch ohne Unterstützung) möglich.
Über die velotech GmbH
Die velotech.de GmbH ist ein von Ernst Brust im Jahre 1991 gegründetes Dienstleistungszentrum für Produktsicherheit mit Sitz in Schweinfurt (Bayern). Das Haupttätigkeitsfeld sind sicherheitstechnische Prüfungen von muskelbetriebenen Fahrzeugen.
Auf insgesamt 1000 qm Labor- und Bürofläche führen qualifizierte Mitarbeiter Prüfungen und Beurteilungen von Komplettfahrrädern, Fahrradkomponenten und -zubehör durch. Zu den Kunden zählen Vertreter der Fahrrad- und Automobilindustrie, Gerichte und Versicherungen oder Vertreter von staatlichen Behörden bis hin zu Privatpersonen.
Für diese werden pro Geschäftsjahr durchschnittlich 350 Prüfberichte und Gutachten erstellt, basierend auf qualifiziert durchgeführten zerstörenden und zerstörungsfreien Prüfungen und Messungen. Angewandte Prüfgrundlagen sind hierbei entweder produktspezifische Sicherheitsnormen (beispielsweise die DIN EN ISO 4210 für City- und Trekkingräder, Mountainbikes, Jugendfahrräder und Rennräder) bis hin zum hausinternen Prüf- und Zertifizierungsstandard “velotech.de_Q:2015”, welcher die Minimalanforderungen der Normen erweitert.
Darüber hinaus ist die velotech.de GmbH seit 2008 benannte GS-Stelle für Fahrräder, Sportgeräte und Bewegungsspielzeug sowie seit 2012 zudem nach DIN EN ISO/IEC 17025 akkreditiert ist.
Weitere ausführliche Informationen sind unter www.velotech.de zu finden.
[Text, Fotos und Abbildungen: velotech GmbH]
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Kommentar:
Ich freue mich sehr, dass ich mit Marco Brust einen ausgewiesenen und anerkannten Spezialisten auf dem Gebiet der Pedelec- und Fahrradprüftechnik als Kolumnisten gewinnen konnte. Herr Brust wird sich in seinen Beiträgen mit den Themen Produktsicherheit rund um Fahrrad und Pedelec beschäftigen.
-Alexander Theis, Herausgeber von VeloStrom.de-