3 Etappen entlang der Donau auf dem Dunav Ultra: Erste Einblicke in einen kaum bekannten Teil Europas.
Dunav Ultra – das klingt nach Langstrecke, Entbehrungen, Hochleistungssport. In der Tat lag genau dort der Ursprung für diese Radroute. Doch heute ist sie soviel mehr. Ich habe einen Teil der Strecke für euch erfahren.
Dunav Ultra
Die Dunav Ultra-Radroute entstand 2014 als persönliche Herausforderung für drei Hobbyradsportler. Die drei wollten die 680 Kilometer lange Strecke innerhalb von 48 Stunden mit dem Fahrrad zurücklegen. Tatsöchlich kam nur einer an: Initiator Boris Begamov. Gebraucht hatte er mehr als die geplanten 48 Stunden.
Danach in drei aufeinanderfolgenden Jahren extreme Rad- und Laufveranstaltungen entlang der Route organisiert und persönlich daran teilgenommen, um die Region zu fördern. Zwischenzeitlich hat er ein beeindruckendes Netzwerk rund um diese Route gesponnen, von dem alle Reisenden profitieren.
Zum einen durch regelmäßige, großflächige Karten an der Strecke. Aber vor allem auch durch die sensationelle App, die einen Reiseführer oder Karten nahezu überflüssig macht. Denn man kann zum einen natürlich den Streckenverlauf und den aktuellen Standort sehen. Viel wichtiger ist aber, das man Sehenswürdigkeiten, Unterkünfte, Restaurants oder Shops in der Nähe finden kann. Aussagekräftige Beschreibungen machen das Finden, beispielsweise von Unterkünften, kinderleicht.
Sofia
Mein Abenteuer beginnt am Hauptbahnhof in Sofia. Dort erwarten mich zunächst Friedrich und Mitko, beide sind Mitarbeiter von Econic One. Friedrich ist Customer Service Manager, Mitko After-Sales-Supporter und Qualitäts-Manager bei Econic One. Der E-Bike-Hersteller aus Bulgarien stellt dankenswerter Weise die E-Bikes für die Reise zur Verfügung.
Nach wenigen Minuten trifft Boris ein, natürlich auf dem Rad. Kurz darauf kommt Nadi ums Eck geradelt: Sie ist leitet das Brand Marketing von Econic One und wird die Tour ebenfalls begleiten. Jetzt geht es Schlag auf Schlag: Nahezu gleichzeitig treffen per Transporter mein E-Bike und zwei weitere Pedelecs sowie Denitsa und Krasi von Travel by Electric ein.
Denitsa hat Travel by Electric gegründet. Das Unternehmen vermietet E-Autos, unter anderem an Touristen. Diese können dann Bulgarien anhand ausgearbeiteter Route erleben. Diese Routen sind für E-Autos optimiert, an jedem Stopp – spätestens aber an den Unterkünften – können die Autos geladen werden. Super Idee, wie ich finde, das Land auf dieses Weise lokal emmissionsfrei zu bereisen.
Unser Plan sieht vor, von Sofia mit dem Zug zum Startpunkt nach Lom zu fahren. Das Begleitfahrzeug , natürlich ein E-Auto, wird von Travel by Electric gestellt, die Zugstrecke ist elektrifiziert, deshalb wird aus einer flapsigen Bemerkung schnell das Motto dieses Trips: „Electrifying Dunav Ultra“.
Zugfahrt von Sofia nach Lom
Kaum haben wir uns kurz miteinander bekannt gemacht, müssen wir los: Der Zug wartet nicht auf uns! Boris hat alle Tickets und weiß wo es langeht. Nach wenigen Minuten stehen wir auf dem Bahngleis vor dem Fahrrad-Waggon. Das Rolltor will zunächst nicht aufgehen, als es dann klappt verladen wir mit vereinten Kräften die E-Bikes. Zufälligerweise sind noch zwei Reise-Radler am Bahnsteig, die ebenfalls von Lom aus entlang der Donau radeln wollen.
Die Bikes sind verstaut, der Zug fährt los. Jetzt ist Zeit und Muße für Gespräche, die Zugfahrt wird ein paar Stunden dauern. Eher nebenbei erfahre ich, dass Boris es geschafft hat, die bulgarische Bahn davon zu überzeugen, exklusiv für genau diese eine Zugfahrt einen Fahrradwaggon an den Zug zu hängen! Ich staune nicht schlecht. Ein solcher Versuch erscheint mir in Deutschland komplett aussichtslos! Umso besser kommt dann noch, dass außer uns 7 Menschen noch 2 Reiseradler dazu kommen. Vielleicht ist das ja ein Anstoß für die bulgarische Bahn, auf dieser Strecke öfter einen Fahrrad-Waggon anzuhängen?
Der Zug fährt los und ich genieße diese Zugfahrt, langweilig wird es definitiv nicht: Die Landschaft wechselt gefühlt alle 10 Minuten. Mal erinnert sie mich an das Tessin, mal an Norditalien, ein anderes mal an Mecklenburg-Vorpommern.
Der Zug hält öfter, an den Bahnhöfen stehen univormierte Bahnhofsvorsteher mit Kellen, ein Bild, das ich nur noch aus meiner Kindheit kenne. Spannend ist, das viele Menschen mit dem Zug unterwegs sind: In Bulgarien ist ein langes Wochenende. Viele Bulgaren, die in Sofia arbeiten, nutzen die Zeit um zu ihren Familien zu fahren.
Wie praktisch unser Fahrradwaggon ist, erfahre ich Stunden später, als wir für 20 Minuten den Zug wechseln, und 9 Räder irgendwie uns selbst samt Gepäck in einen normalen Passagier-Waggon quetschen müssen.
Prolog: Lom
In Lom erwartet uns Bobby, der Fahrer des Begleitfahrzeugs. Es handelt sich um einen Citroen E-Spacetourer XL, in den unser Gepäck spielend hineinpasst. Ich habe die Bikepacking-Taschen von Kavoon-Bags bisher in noch in meinem Trolley verstaut. Nachdem ich sie am E-Bike befestigt und die brandneuen Ergon PT-Pedale montiert habe, geht es vom Bahnhof durch Lom an die Donau.
Boris erzählt, das Lom in einer der ärmsten und geburtenschwachsten Gegenden Europas liegt. Nach wenigen hundert Metern auf der Hauptstraße biegen wir in die Fußgängerzone ab. Die überrascht mich mit einem reizvoll gewundenen Radweg, der zum einen natürlich die Geschwindigkeit senkt, zum anderen aber genau dadurch ein entspanntes Sightseeing ermöglicht.
Die Gebäude sind teils restauriert, teils benötigen sie dringend etwas Fürsorge. Es sieht etwas aus wie im Osten Deutschlands, etwa 10 Jahre nach dem Fall der innerdeutschen Grenze.
Doch dann kommen wir an der Donau an – die mir ein weiteres von noch vielen weiteren Wow-Erlebnissen beschert. Es sind von hier noch etwas 700 Kilometer bis zur Mündung des Flusses in das Schwarze Meer und trotzdem ist die Dunav aka Donau hier schon etwa doppelt so breit wie der Rhein bei Wiesbaden! Während auf dem Rhein lebhafter Schiffsverkehr herrscht, ist hier in Lom weit und breit kein Schiff zu sehen.
Nach den ersten Fotos meldet sich mein Magen. Zum Glück geht es nicht nur mir so, und Boris hat nicht ganz ohne Hintergedanken diesen Spot gewählt: Das Park Hotel & Restaurant River liegt nur einen Steinwurf und mit Blick auf die Donau entfernt. Das Restaurant ist übrigens selbstverständlich in der App zu finden.
Die Räder werden am Restaurant abgestellt, zu meiner Überraschung, ohne sie abzuschließen. Für jemaden wie mich, der sein E-Bike selbst bei einer Fahrt zum Discounter um die Ecke immer anschließt, ist das ungewohnt. Doch wird auch während der nächsten Tage bei keinem Halt ein Rad an- oder abgeschlossen und niemand hat sich je an den E-Bikes vergriffen, noch ist je etwas abhanden gekommen.
Im Vorfeld habe ich versucht, ein paar Brocken Bulgarisch zu lernen. Mein Fokus lag in Anbetracht der Kürze der Zeit aber auf dem Sprechen, nicht auf dem Lesen. Das rächt sich hier, denn das Menü auf dem Tisch ist in kyrillischer Schrift gehalten. Möglicherweise gibt es auch eines in lateinischer Schrift, doch meine einheimischen Mitreisenden helfen mir dabei, etwas passendes zu finden. Und ich mache es ihnen einfach: Ich bitte sie, mir etwas typisch bulgarisches zu bestellen.
Mein Menü besteht schließlich aus dem traditionellen Schopska-Salat (Salatgurken, Tomaten, Zwiebel, alles knackfrisch) und frittierten Kartoffeln, ähnlich Pommes Frites, aber doch anders. Beides passt prima zum Radfahren. Der Schopska-Salat wird mich auf der Reise begleiten: Er ist nahezu überall in leichten Variationen zu haben und stets frisch und lecker.
Lom nach Kosloduj (45 km)
Nach dem ausgiebigen Essen geht es endlich richtig los. Unser Tagesziel ist Kosloduj, bis dahin sind es rund 45 Kilometer. Die Ausfahrt aus Lom führt bergauf über Kopfsteinpflaster. Die Steigung zieht sich, ist aber für mein Econic One Adventure mit dem Bafang-Mittelmotor kein Problem.
Unterwegs grast ein Pferd mit angespanntem Wagen am Straßenrand. Kein Mensch zu sehen, aber es ist deutlich, das diese Menschen nicht mit dem Pferdegespann unterwegs sind, weil es soviel Spaß macht. Schon unterwegs auf der Zugfahrt habe ich einige dieser Pferdefuhrwerke gesehen – Bulagrien ist ein Land der Kontraste. Das wird mir spätestens dann deutlich, als mich kurz danach ein Porsche Cayenne überholt – in vorbildlichem Abstand.
Oben, am Ende der Steigung, hält Boris um und die grandiose Aussicht über die Donau bis hinüber nach Rumänien zu zeigen, das mit einer topfebenen Landschaft direkt hinter der Donau beginnt.
Zunächste ist der Straßenzustand noch in Ordnung, später bieten sich aber tiefe Löcher, die es geboten erscheien lassen, den Blick nicht zu lange auf den riesigen Feldern mit leuchtend gelb blühendem Raps ruhen zu lassen.
Nach etwas 10 Kilometern erreichen wir das Örtchen Kovachitsa, in dem Boris an einem Haus hält, das ich für ein Café halte. Das ist es auch, doch der eigentliche Grund liegt nebenan: Der erste kleine Supermarkt auf der Strecke. Boris erklärt mir, das wo immer ich den Schriftzug „loto“ an einem Hause lesen, ein kleiner Markt zu finden sei.
Diese kleinen „Tante-Emma-Läden“ stellen die Versorgung der ländlichen Bevölkerung sichern. Für uns Radreisenden sind sie ein Segen, denn diese Läden sind meist an 7 Tagen geöffnet, auch an Feiertagen. Natürlich muss ich in den Markt – und finde eine bunte Auswahl unterschiedlichster Dinge: Reis, Nudeln, Konserven mit dicken Bohnen in Tomatensoße oder Mussaka, Brot, Kekse, Bonbons, Süßigkeiten, Angelköder, Nähsachen, Dauerwurst… gut, dass ich mit dem Rad und nicht mit dem Auto unterwegs bin. So beschränke ich mich auf zwei einheimische Schokoladenriegel.
Einen der beiden lasse ich mir munden, während ich mich mit Sonnencreme einreibe. Es ist zwar für die Bulgarien noch relativ frisch, doch für mich fühlt sich das hier fast wie ein deutsche Sommer an.
Wir folgen weiter der „Classic-Route“ des Dunav Ultra. Eigentlich hatte ich gehofft, wir würden die „Adventure-Route“ nehmen, die viel näher an der Donau verlöuft. Doch Boris weiß, dass die Donau hier noch bis vor kurzem Hochwasser führte. Ein Großteil der Strecke der Adventure-Route war dabei überflutet und die Wege seien noch zu schlammig.
Doch auch die Classic-Route ist alles andere als langweilig. Den die Schlaglöchern fordern schon Aufmerksamkeit. Und obwohl die Strecke ausschließlich über Landstraßen verläuft gibt es kaum Verkehr. Wenn wir auf der Straße nach Kosloduj 6 Auto getroffen haben, war das viel.
Bei der Größe der Felder hier wird mir klar, warum es so wenige Feldwege gibt, die man als Radwege nutzen könnte: Feldwege sind schlicht nicht nötig um von einem Feld zum anderen zu kommen.
Nach Überquerung eines Flüsschens passieren wir ein großes Gebiet mit extrem welliger Straße. Boris weiß, das es sich um eines der größen Erdrutschgebiete Bulgariens handelt. Er zeigt auf die Hügel und erklärt, dass diese nach und nach in Richtung Donau rutschen und dabei die Straßen deformieren, die hier abermals ansteigt.
Danke der E-Bikes von Econic One, im Einsatz sind neben dem Adventure mit Bafang Mittelmotor auch zwei Urban mit Bafang Hinterradnabenmotor, gelingt der Anstieg ohne Probleme. Wenngleich mit leichten Vorteilen für die Adventure, die schneller oben sind.
In Kosloduj angekommen, steuert Boris zunächst zum Restaurant „The River“, das, nomen est omen, direkt an der Donau liegt. Der Turm am Eingang erscheint fast wie ein Teil des hessischen Limes. Mit grandioser Aussicht auf die Donau genießen wir Kaffee und Wasser, ein Teil meiner Begleitung bestellt sich eine Suppe, die ganz hervorragend sei, wie sie mir glaubhaft versichern. Ein Blick auf die umfangreiche Weinkarte mit ausnahmlose bulgarischen Gewächsen zeigt, das es auch für Weinliebhaber einiges zu entdecken gibt. Doch für mich ist es definitiv noch zu früh für Wein.
Nach der ausgiebigen Pause fahren wir in Richtung Hotel. Die Strecke bis nahe ins Zentrum von Kosloduj zieht sich weiter als gedacht. Auf dem Weg ist schon zu sehen, das es den Menschen hier wirtschaftlich besser geht, kaum mehr als 40 km von Lom entfernt. Woran das liegt, werde ich morgen erfahren.
Für die heutige Übernachtung hat Boris das Familiy Hotel Ivon ausgewählt. Es liegt ruhig, aber nicht allzuweit von der Hauptstraße entfernt. Der moderne Bau bietet saubere Zimmer mit Klimaanlage (im bulgarischen Sommer sicher unentbehrlich), TV, kleinem Balkon und eigenem Duschbad. Sogar ein Kühlschrank ist vorhanden.
Nach dem Duschen treffen wir uns im Foyer und gehen gemeinsam um die Ecke in ein kleines, uriges Restaurant. Ich bin mit Einheimischen unterwegs, doch auch somst hätte ich wohl dieses Restaurant gewählt, hätte ich es gefunden: Denn es ist voller Einheimischer, woaus ich schließe, das es gut ist.
Genau so ist es auch. Ich überlasse die Auswahl meines Abendessen meiner Begleitung. Zwar lässt sich per Online-Übersetzter die Karte von bulgarisch in kyrillischer Schrift ins Deutsche mit lateinischer Schrift übersetzen, aber teils mit abenteuerlicher Wortwahl. Erneut fahre ich gut mit dieser Entscheidung: Schopska-Salat mit Schnitzel und bulgarischen Kartoffeln, hausgemacht und lecker.
Wir unterhalten uns bei Wein und Bier auf bulgarisch sowie englisch, ich lerne den bulgarischen Rakia [-> Wikipedia] kennen. Es wird ein wirklich schöner Abend bei fröhlicher Stimmung und viel später als gedacht. Etwas, was sich an jedem der kommenden Abende wiederholen wird.
Kosloduj nach Krushovene (76 km)
Am nächsten Morgen ist um 8 Uhr Abfahrt. Da es im Familiy Hotel Ivon kein Frühstück gibt, suchen wir uns ein Café. Das erste, das wird finden, serviert ein deftiges, bulgarisches Frühstück – das für mich mit Pommes und Co. eher ein Mittagessen wäre.
Deshalb nehme ich Boris‘ Vorschlag an, ein bisschen mit dem Rad durch Kosloduj zu fahren um den Ort näher kennenzulernen. Ich erlebe eine kleine, Fußgängerzone mit gepflegtem kleinen Park und Bänken in Form einer Büroklammer. Boris fährt weiter und bremst ein paar hundert Meter danach scharf und biegt links ab.
Ich folge ihm und er erklärt mir, das es hier Banitza und Boza gäbe. Banitza [-> Wikipedia] ist eine Art Blätterteigtasche, wahlweise mit Käse oder Wurst und sei ein typisches bulgarisches Frühstück, wie mir Mitko gestern erzählt hat. Boza [-> Wikipedia] wiederrum ist eine Art bulgarisches Nationalgetränk und wird ebenfalls zum Frühstück getrunken.
Es besteht aus fermentiertem Weizen, hat eine bräunliche-dickflüssige Konsitenz, schmeckt leicht süßlich und etwas gewöhnungsbedürftig, mir aber recht gut. Besonders Boza soll sehr nahrhaft sein – das ich bis zum späten Nachmittag keinen Hunger verspüre. spricht dafür.
Gemeinsam mit Boris lasse ich mir das bulgarische Frühstück schmecken, das ist einer der Gründe, warum ich hier unterwegs bin: Kulinarische Entdeckungen. Nach einiger Zeit klingelt Boris‘ Smartphone: Die anderen wollen wissen, wo wir sind. Nach ein paar Minuten treffen sie auch ein. Doch nur zum Teil: Zwei der bulgarischen Teilnehmer haben einen Lidl entdeckt (in Bulgarien gar nicht so selten) und decken sich mit Laugenbrezeln ein – auch eine Art Kulturaustausch.
Beim Weiterfahren entdecke ich ein ganz besonderes Schild: Wer hat schon mal in Deutschland ein Schild gesehen, dass Pferdegespannen das Fahren auf der Straße untersagt? Ich nicht.
Auch heute geht es wieder auf Landstraßen weiter. Boris fährt als Ortskundiger voraus, dank der App würde ich den Weg zwar auch finden, aber so ist es natürlich viel bequemer. Die Straße führt in leichter Steigung aufwärts in großer Entfernung an einem Bau entlang, der mich an das ehemalige Atomkraftwerk in Tschernobyl, jedoch ohne Sarkophag, erinnert.
Meine Nachfrage ergibt: Es ist tatsächlich das einzige bulgarische Atomkraftwerk, auf Grund der Zugehörigkeit zum ehemaligen Ostblock natürlich in sowjetischer Bauweise. Gleichzeitig ist es der größte Arbeitgeber und sorgt für den wirtschaftlichen Wohlstand unter anderem in Kosloduj…
Gestern schon fiel mir auf, das es hier in fast jedem Ort mindestens ein Storchennest an der Hauptstraße gibt, meist sind es sogar zwei oder drei, teils schon mit Nachwuchs. Offenbar findet Freund Adebar in der sehr ländlich geprägten Gegend mehr als ausreichend Nahrung.
Wir durchfahren Landschaften und Örtchen, die mir teils erscheinen, als sei die Zeit stehen geblieben. Eines der wenigen Autos, die wir sehen, hat eine Reifenpanne. Wir versuchen mit dem Werkzeug aus unserem Begleitfahrzeug auszuhelfen. Doch der Radmutterschlüssel passt nicht und das Reifenpannenset hilft leider auch nicht weiter. Und so muss das Werkzeug des Pannenfahrzeugs einige beherzte Fußtritte aushalten, bevor sich die Radmuttern lösen. Der Fahrer des Pannenfahrzeugs und die Familie bedanken sich und beteuern, ab jetzt alleine weiterzukommen.
Die Straße führt jetzt durch einen Art kultivierten Urwald. Rechts und links ragen Pappel in den Himmel und bilden bereits jetzt im Frühjahr ein schützendes, grünes Blatterdach über uns. Nach einigen Kilometern biet Boris links ab in die Einfahrt zum „Motel Paradise“, eine kleine, grüne Oase, in der wir im kühlen Schatten bei Kaffee eine ausgiebige Pause verbringen.
Heute ist es etwas geschäftiger auf den Straßen, doch weit entfernt davon, das man von „viel Verkehr“ sprechen könnte. So entfaltet das Landstraßenfahren mit dem E-Bike einen Reiz, den man von Deutschland nicht mehr kennt. Verbunden mit dem Vorteil, das man gut voran kommt. Links neben der Straße kommt bald die Donau in Sicht, am Straßenrad stehen ausrangierte Bauwagen, Wohnwagen und vereinzelte Hütten, die Anglern als Wochenenddomizil dienen.
Nach einigen Kilometern entlang der Donau erreichen wir eine Fährstation, die LKW von und nach Rumänien bringt. Dort biegen wir rechts ab, die folgende lange Steigung zeigt einmal mehr die Unterschiede zwischen Mittel- und Hinterrad-Nabenmotor auf. Die Urban-Modelle mit Hinterrad-Nabenmotor kommen die Steigung auch hinauf, doch sind die Mittelmotor-getriebenen Modelle deutlich schneller unterwegs.
Oben bietet sich und zum Mittagessen abermals eine atemberaubende Aussicht über die Donau.
Boris scheint hier wirklich jeden zu kennen, denn schon nach kurzer Zeit sind die Bulgaren am Tisch im intensiven Gespräch mit einem älteren Mann. Mitko übersetzt mir, das es sich um den ehemaligen Bürgermeister dieser Gemeinde handelt. Er betreibt eine kleine Galerie, hat seit Jahrzehnten Maler aus der ganzen Welt zu Gast. Nach dem Mittagessen brauchen wir die Galerie, die der ehemalige Bürgermeister extra für unser kleine Gruppe öffnet. Sie befindet sich im Keller eines eher unscheinbaren Gebäudes in der Nähe.
Als ich die Treppe hinab und durch die Tür trete finde ich mich in einem wunderschönen, hellen Gewölbekeller wieder, den ich so an dieser Stelle nicht erwartet hätte. An den Wänden hängen Gemälde verschiedener Künstler in verschiedenen Stilen. Boris erzählt, das mehr als 3.000 Werke im Fundus sind, die in regelmäßigen Abständen rotierend ausgestellt werden. Eines der Werke zeigt einen Turm einer nahegelegenen Kirche, die wir uns auf dem weiteren Weg anschauen.
Die orthodoxe Gemeindekirche ist, obwohl eher einfach ausgestattet, gleichwohl beeindruckend. Dazu tragen sicher auch die Choräle bei, die zwar vom Band kommen, aber trotzdem eine meditative Stimmung verbreiten.
Mitten in einer wunderschönen Abfahrt biegt Boris links ab, fährt wieder bergauf und nach ein paar hundert Metern in eine super steile Einfahrt: Hier betreibt ein Freund von ihm eine Rakia-Brennerei. Rakia ist eine Art Tresterschnaps und ein weiteres Nationalgetränk Bulgariens. Der Betreiber dieser Brennerei gilt als Meister seines Faches, er nennt sein Produkt „Elixier“ und zeigt uns mit sichtbarem Stolz seine Anlage.
Heute ist St. Georg, [-> Wikipedia] ein Feiertag in Bulgarien, an dem viele Familienfeiern stattfinden. Neben der Rakia-Brennerei betreibt man hier noch ein kleines Restaurant, entsprechend viel ist heute hier los.
Die nächste Pause raubt mir schier den Atem: Am „Danube River Port“ bei Ostrov ist die Donau so breit und erscheint, da sie hinter einer Biegung verschwindet, fast wie ein riesiger See! Angler stehen auf der Mole und am Fluß, Fische springen und trotz des sonnigen, warmen Wetters hört man weder Motorboot noch Waverunner, oder ist gar ein Flusskreuzfahrer zu sehen.
Doch das, so erzählt mir Mitko, ist der Vorsaison geschuldet: Im Sommer seien hier viele Kreuzfahrschiffe der Viking-Cruises unterwegs. Schiffe einer Rederei, die ich vom Weg ins Büro zu Hause kenne: Dort liegen sie oft an der Main-Schleuse und ich frage mich jedesmal, wie lange sie wohl durch den Main-Donau-Kanal bis in die Donau uns ans schwarze Meer brauchen…
Boris rät mir, noch eine Kleinigeit zu essen, bevor es weiter geht zur letzten Etappe. Denn es würde eine mächtige Steigung auf uns warten. Vorsichtshalber gönne ich mir einen Riegel aus meinem Vorrat, denke mir aber, dass es so schlimm nicht werden könne, schließlich habe ich ja ein E-Bike.
Doch hier habe ich mich getäuscht. Nach mittlerweile fast 60 Kilometern in Stufe 2 von 4 möglichen zeigt mein 460 Wh-Akku bereits kurz nach dem Beginn der Steigung weniger als 20 Prozent Restladung! Der Grund: An dieser Steigung brauche ich maximale Unterstützung der 80 Nm des Bafang M410-Antriebs.
Nachdem ich mich vergewissert habe, dass im Begleitfahrzeug noch ein voller Akku vorhanden ist, entscheide ich, den Akku komplett leer zu fahren. Ich bin gespannt wie lange er hält. Die Steigung nimmt gefühlt kein Ende, das Feld der Mitfahrenden zieht sich zunehmend in die Länge. Ich bin froh um die 1×10 Schaltung von Shimano und nutze mehr als nur einmal den „Rettungsring“ mit 42 Zähnen. Am Ende dieser Strecke vermeldet das kompakte Display noch 4% Akku-Restkapazität.
Wir fahren jetzt in der tiefer sinkenden Sonne auf einer Art Kamm. Rechts schaut man in ein grünes, hügeliges Tal hinab, das sich an der Gegenseite zu höheren Hügeln aufschwingt. Links geht der Blick über die Donau Weit bis nach Rumänien hinein – die Auffahrt hat sich definitiv gelohnt.
Während die Akkustandsanzeige wieder bis zu 8% ansteigt, folgt jetzt ein Berg- und Talfahrt, die einen besonderen Reiz entfaltet und die gesamte Bandbreite der zur Verfügung stehenden Gänge erfordert: Bergab bis zu 50 km/h schnell komme ich bergauf im leichtesten Gang gerade so mit 8 oder 9 km/h über die Kuppe. Schließlich ist es soweit: Mein Akku ist nach gut 65 km leer. Gute Leistung für 460 Wh!
Da ich das Schlußlicht der Gruppe bilde habe ich den Vorteil, dass das Begleitfahrzeug direkt hinter mir ist. Leerer Akku raus, neuer Akku rein: Schon geht es weiter. Ich weiß, es ist nicht mehr weit bis zum Tagesziel in Krushovene und so lasse ich auf der langen, leicht bergab führenden Strecke den Antrieb ins Stufe 4 unterstützen Oftmals muss er gar nichts zusteuern, da ich, auch Dank Rückebnwind, mit 35 oder 40 km/h weit oberhalb der Unterstützungsgrenze fahre.
Deshalb müssen meine Mitreisenden auch am Ortseingang in Krushovene nicht lange auf mich warten. Gemeinsam fahren wird durch den Ort, erneut fällt mir auf, dass vor allem die Kinder begeistert winken. Zwie Jungs auf Fahrrädern liefern sich ein „Rennen“ mit uns – ihnen machts Spaß und uns auch.
Die heutige Unterkunft ist etwas ganz spezielles: Das „Krushovene Guesthouse“ ist eine ehemalige Schule, die auf einer Anhöhe über dem Ort liegt und eine traumhafte Aussicht über die umliegende Landschaft bieten. Das Guesthouse wird von einem Ehepaar, das lange zeit in den USA lebte, seit Jahren umgebaut, die Zimmer sind in ehemaligen Klassenräumen untergebracht. Der Charme dieses Gebäudes ist ein ganz besonderer.
Nach einem herzlichen Empfang grillen die Gastgeber für uns. Boris hat von der Rakia-Brennerei eine Flasche mitgebracht und auch der Gastgeber lässt uns seinen Rakia probieren. Erneut wird es bei hochintinteressanten Gesprächen in einer entspannten Atmosphäre sehr spät…
Krushovene nach Belene (110 km)
Am nächsten Morgen ist es mit ca. 12 Grad noch frisch, als es losgeht. Die Landschaft ist zunächst geprägt von einer Art Hochtal mit Hügel und Einschnitten auf beiden Seiten. Auf den Straßen ist wenig Autoverkehr – daran könnte ich mich glatt gewöhnen. Langsam geht es bergab in Richtung Donau, es läuft fast wie von selbst.
Die Strecke führt heute über schier endlose Geraden, doch durch die herrliche Landschaft und auch die Begleitung wird es nicht langweilig. Die Stimmung in der Gruppe ist fröhlich, Scherze wechseln sich mit Gesprächen über Land und Leute ab. Eigentlich bin ich lieber alleine unterwegs, doch durch die Begleitung Einheimischer erfahre ich weit mehr, als ich aus Reiseführern lernen könnte. Von Begegnungen wie der mit dem Galeristen gestern, ganz zu schweigen.
Wir folgen im Dorf Gigen einem Hinweisschild, das uns zu den Ruinen der römischen Siedlung Colonia Ulpia Oescus [-> Wikipedia] führt. Diese archäologische Stätte ist eine weitere Überraschung für mich. Denn selten haben ich so gut erhalten Friese und Kapitelle gesehen. Es sieht teils aus, als hätten die römischen Steinmetze nur mal eben Mittagspause gemacht und würden in den nächsten Minuten wiederkommen. selbst die römische Straße ist noch gut erhalten.
Während ich in aller Ruhe durch die Ruinen streife – es sind außer uns nur noch vier weitere Personen auf dem Gelände, trotz freiem Eintritt – sehe ich ab und an Boris am Smartphone. Später stellt sich heraus, das er für uns ein Mittagessen in der nächstgelegenen Ortschaft organisiert. Als wir eintreffen zeigt sich, dass die Gaststätte extra für uns geöffnet hat – einmal mehr ein Zeichen dafür, wie gut Boris hier vernetzt ist.
Nach dem Mittagessen geht es zügig nahezu eben voran. In einem Ort begegnen wir einer Schlange, die auf dem heißen Asphalt mitten in einer Ortschaft wohl ihren Mittagsschlaf halten will. Trotz des geringen Verkehrsaufkommens ist das für sie lebensgefährlich. Gemeinsam mit Nadja rette ich das kleine Reptil, dass aber wohl der Meinung ist, wir wollten ihm an den Kragen.
Bei Somowit bin ich wieder froh um die Kraft des Bafang im Tretlager: Die Steigung erinnert mich zunächst an die letzte von gestern. Aber nur bis Boris nach rechts in einen Hohlweg abbiegt und es noch steiler wird. Einheimische werfen uns kopfschüttelnd zweifelnde Blicke hinterher: Wie kann man sich mit dem Fahrrad solch eine Steigung freiwillig antun? Doch dank gefülltem Akku geht’s, bleibt aber trotzdem anstrengend. Aber die Plackerei lohnt sich: Auf der Anhöhe eröffnet sich bei klarem Himmel ein sagenhafter Weitblick über die Donau, die von hier oben fast so wirkt, als sei sie ein naturblassener Wildfluss.
Hier oben finden sich dann auch ein paar Windräder sowie bereits angelegte Fundamente für weitere. Die Energiewende findet auch in Bulgarien statt. Doch das fiel mir schon vom ersten Tag an auf: Es gibt zahlreichen Solaranlagen, die teilweise sogar über den Hausdächern wie ein zusätzliches Dach montiert sind.
Die Abfahrt macht uns allen mächtig Spaß: Die weiße Gravel-Road führt in leichten Wellen ein paar Kilometer bis zur nächsten Hauptstraße.
Die Sonne der letzten Tag hat Boris überzeugt, das wir für die letzte Etappe bis Belende die Adventure-Route wagen könnten. Schon nach kurzer Zeit merke ich, das es eine gute Idee war, die letzten Tage auf Asphalt unterwegs gewesen zu sein: Zwar ist der Untergrund trocken, jedoch habe ich das Gefühl, über betonierte Wellen zu fahren. Das Ergebnis von Hochwasser und Wellengang.
Selten war ich so froh über einen Stop, die Erschütterungen gehen durch Mark und Bein. Hier wäre ein Fully eine gute Idee. Dieses mal halten wir direkt direkt an der Donau, deren Wasser an Ufernähe erstaunlich klar ist. Der eigentliche Grund für den Halt liegt aber gegenüber: In der kreidefarbenen Felswand findet sich in einer Nische die Reste einer Einsiedelei. Die Aussicht von dort oben ist ein Traum! Dank der super griffigen Sohlen der Garmont 9.81 Hi-Ride gelingt mir der Aufstieg und besonders der Abstieg besser, als meinen Mitreisenden.
Noch zwei, drei Kilometer über die materialmordende Strecke, dann führt der Adventure Trail des Dunav Ultra über teils sandige Feldwege durch eine liebliche Auenlandschaft. Breite Wege, die weite Blicke ermöglichen, wechseln sich mit singletrailartigen Abschnitten durch übermannshohes Röhricht ab, es ist eine wahre Freude für jeden Gravel-Fan!
Das letzte Etappenziel Belene ist fast zu schnell erreicht, die letzte Nacht werden wir im Hotel Prestige verbringen. Traumhaft direkt an ein Nebenarm der Donau gelegen, ist es ein guter Abschluss.
Zum Essen fahren wir ausnahmsweise mit dem Begleitfahrzeug. Auch am letzten Abend dieses Teils meiner Bulgarien-Reise ist die Stimmung in der Gruppe hervorragend, das Essen in einem Restaurant im Ort erneut wirklich lecker.
Auch heute wird es wieder spät, aber da morgen der Transfer ans Schwarze Meer geplant ist, hoffe ich das Schlafdefizit unterwegs im Auto ausgleichen zu können.
Fazit & Ausblick
Obwohl die Zeit nur für einen Teil der Strecke des Dunav Ultra reichte, bin ich sehr beeindruckt von Land und Leuten. Herzlicher Empfang wohin wir auch kamen, grandiose Landschaften, die in dieser Vielfalt wohl ihresgleichen suchen. Dazu eine Streckenführung, bei der auch auf Landstraßen sehr wenig Autoverkehr herrscht.
Saubere, wenn auch teils einfache Unterkünfte, leckere, oftmals hausgemachte traditionelle Speisen – und das alles zu Preisen, die das Reisen für uns Westeuropäer günstig machen: Selten habe ich mehr als 15€ für ein Mittagessen oder 30€ für eine Übernachtung gezahlt.
Die Begleitung durch Boris, der die Strecke wie seine Westentasche kennt und auf Grund seiner hervorragenden Vernetzung Kontakte ermöglichte, die ich sonst niemals gehabt hätte, machte diese Reise zu einem ganz besonderen Erlebnis. Ich bin mir sicher: Diese Reise ist eine, von der ich noch in Jahren begeistert erzählen werde!
Zur Nachahmung wämstens empfohlen! Das klappt selbst ohne das Boris live dabei ist. Denn seine sensationelle App zum Dunav Ultra, bündelt alle seine Erfahrung , wird regelmäßig aktualisiert und bildet so eine hervorragende Basis, diese Route entlang der Donau in Bulgarien individuell zu erleben.
Die Bikes von Econic One haben selbst die ruppige Tortur der ersten Kilometer der Adventure-Route überstanden, und dank eines zweiten Akkus im Begleitfahrzeug von Travel by Electric waren auch die vielen, teils steilen und langen Steigungen, kein Problem.
Review: E-Bike Econic One Bandit im Doppeltest
Schade nur, dass der Transport des eigenen E-Bikes im Flugzeug praktisch unmöglich ist. Gäbe es einen E-Bike-Verleih entlang der Strecke könnte dieser Teil Europas noch weit mehr vom Tourismus profitieren – das eigentliche Ziel, das Boris mit dem Dunav Ultra seit mehr als 10 Jahren verfolgt: Den Aufschwung dieses Teils Bulgariens durch den Tourismus nachhaltig zu fördern.
Mehr Infos zum Dunav Ultra gibt es in englischer Sprache online unter https://dunavultra.com
Ich freue mich auf den zweiten Teil dieser Reise, die mich auf Gravel-Strecken entlang des Schwarzen Meeres bis nach Varna führen wird. Der Bericht dazu ist hier zu finden.
[Text: [at], Fotos: VeloStrom]
[Transparenzhinweis: Die Reise wurde von Econic One (E-Bikes), Travel by Electric (Begleitfahrzeug) und Boris Begamov (Routenplanung) unterstützt. Die Reisekosten erfolgten auf eigene Rechnung].
- E-MTB: Energie tankenin Osttirol - 8. September 2024
- KETTLER Alu-Rad senkt Preise! - 6. September 2024
- Brandneu: E-MTB Divide von Tout Terrain - 4. September 2024