[at] Auch heute gibt es noch Abenteuer, eines davon ist zweifellos Bikerafting in Jakutien. Kilian Reil hat’s gemacht und erzählt im Interview über das wie und warum.
Am Abend eines langen Eurobiketages nahm mich der authentische Vortrag von Kilian Reil so gefangen, dass ich alles um mich herum vergaß. Kilian und sein Freund Roman waren in Yakutien unterwegs gewesen, mit dem Rad zum Boot fahren. Also Bikeraften, aha…
Alexander Theis: Kilian, „Bikerafting“, das ist vielleicht nicht jedem gleich ein Begriff. Kannst du kurz erklären was man darunter versteht?
Kilian Reil: Bikerafting ist eine Komposition aus den beiden Begriffen „Bikepacking“ und „Packrafting“. „Bikepacking“ bedeutet so viel wie: mit wenig Gepäck über mehrere Tage touren. Unser Setup war natürlich deutlich schwerer und für fünf Wochen gepackt, mehr dazu später. 😉
„Packrafting“ ist ebenso ein Begriff aus dem Amerikanischen. Packrafts sind, vereinfacht gesagt, wildwassertaugliche Schlauchboote, die ein gutes Packmaß zum tragen bzw. transportieren haben. Beim „Bikerafting“ geht es also darum, gewisse Strecken mit Rad zu bewältigen und andere wiederum mit dem Boot. So sind komplett neue Routen möglich, die vorher mit den jeweils einzelnen Disziplinen nicht zu schaffen wären.
Alex: Bei deinem Vortrag auf der EuroBike habe ich die „Road of Bones“ auf dem Foto direkt erkannt, die DVD „Long Way Round“ mit Ewan McGrgor und Charley Boorman steht auch in meinem Regal. Inwieweit war „Long Way Round“ für euch eine Inspiration?
Kilian: Das ist schon ein spannender Film, oder? Ich muss gestehen, dass ich die Doku nur in Ausschnitten gesehen habe. Sie war aber durchaus ein Anreiz für die Tour.
Für uns war es schwer qualitative Informationen zur Knochenstraße und die umliegenden Gebiete zu finden. Die Quellen sind entweder nicht vorhanden oder komplett auf russisch. Wir haben dann glücklicherweise eine Plattform gefunden, von der wir alte russische Militärkarten aus den 1950ern runter laden konnten. Zwar sind die nicht up-to-date aber bei weitem detailreicher als moderne Kartendienste wie Google, Bing etc.
„Long Way Round“ hatte aber endlich mal Videomaterial, dass die Landschaft und die harten Bedingungen greifbarer machten. Die Videos zeigen auch deutlicher als Fotos oder Text wie Emotionen und Gefühle zum Vorschein kommen.
Alex: Ewan und Charley hatten auf ihren Motorrädern sehr mit der „Road of Bones“ zu kämpfen. War das eher Reiz oder Abschreckung für euch?
Kilian: Anreiz, definitiv! Unsere Entscheidung fiel aber auch daher auf Fahrrad und Boot, weil damit die Chancen eines technischen K.O.s deutlich minimaler waren als mit einem Motorrad. Wir hatten bestimmt ein Jahr Zeit mit der Planung verbracht und sämtliche Varianten durchgespielt.
Die wirklich schwierigen Passagen der „Road of Bones“ hatten wir schon ad-acta gelegt, da sie für unsere Route keinen Sinn machten. Ewan und Charley fahren die „Old Summer Road“ einen Teil der „Road of Bones“ die definitiv nur im Sommer befahrbar ist und mittlerweile ersetzt wurde durch eine weiter nördlich verlaufende Schotterpiste.
Wie in vielen Teilen Jakutiens sind Straßen oft nur für bestimmte Jahreszeiten gebaut. Diese „funktionieren“ dann ein paar Monate und liegen den Rest der Zeit in Sumpflandschaft oder unter Eis.
Alex: Wie habt ihr euch auf die Tour vorbereitet und wie lange dauerte die Vorbereitung?
Kilian: Die Planung hatte mehrere Phasen, während denen wir die Strecke eingrenzten. Mit Hilfe der erwähnten Militärkarten hatten wir jeden Winkel Sibiriens durchforstet, bevor die Entscheidung auf Jakutien fiel. Diese Planung dauerte in etwa ein Jahr. Final waren wir glaube ich bei Plan E oder F angelangt. Man muss hier erwähnen, dass Roman und ich berufstätig sind, keine Finanz-Sponsoren haben und das alles im Alltag bewältigt haben.
Die Vorbereitung wurde dann konkreter bei diversen Setup-Tests mit Rad und Boot, Gepäck, Paddel-Aktionen etc. Die Zeit war dann leider etwas knapp und wir konnten die Boote nicht unter sibirischen Bedingungen testen. Was sich leider als Fehler herausgestellt hat. Ein wenig mehr Training hätte nicht geschadet.
Konditionell hatte ich in dem Jahr schon auf zwei Ultra-Marathons trainiert, während Roman eigentlich nur mit dem Rad zur Arbeit gependelt ist. Also auch keine optimale Voraussetzung.
Alex: Habt ihr Räder „aus dem Laden“ genutzt oder waren sie für die Tour besonders ausgerüstet – und wenn ja, wie und womit?
Kilian: Wir hatten uns vorab bei Tout Terrain aus Freiburg beworben. Die hatten zu selbigem Zeitpunkt ein kleines Adventure Team ins Leben gerufen. Wir hatten allerdings keine große Hoffnung, da wir selbst unseren Trip als nicht allzu spektakulär empfanden. Als es dann doch geklappt hat waren wir beiden super froh, da mit unseren eigenen Rädern wäre dass nicht so leicht gewesen.
Tout Terrain hat uns dann zwei nagelneue Outbacks 27.5″ zur Verfügung gestellt. Das sind quasi Unimogs unter den Hardtail Mountainbikes: unverwüstlicher Stahlrahmen, dicke Schlappen, Pinion-Getriebe und Gates-Riemen. Das Rad werd ich nie wieder her geben!
Für mich ist es immer noch unglaublich, was die einstecken mussten. Die Bikes sind serienmäßig und im Laden erhältlich und wir haben dann Gepäckträger selbst montiert. Endergebnis: ca. 70 kg Fahrrad inklusive Gepäck.
Alex: Wo du gerade das Gewicht ansprichst: Sind die Rafting-Boote besonders konzipiert, zum Beispiel was die Tragfähigkeit, das Packmaß oder das Gewicht angeht?
Kilian: Packrafts gibt es in verschiedenen Formen und Größen. Von Ultraleicht bis wildwassertauglich, mit und ohne Spritzdecke, etc. Zum Glück, dass nicht weit weg in Dresden, der liebe Sven vom packrafting-store.de sitzt. Der hatte ein paar Testboote auf Lager.
Wir haben uns dann für jeweils einen Zweisitzer (MRS Adventure X2) entschieden, damit auch wirklich genug Stauraum dabei ist. Mit weniger Gepäck hätte aber auch ein kleineres Boot gereicht. So im Nachhinein hätte ich wahrscheinlich doch noch eine feste Spritzdecke genommen, das Boot lief in großen Stromschnellen schon mal voll.
Alex: Für eine solche Tour in, aus mitteleuropäischer Sicht, der Wildnis kann man ja nicht für jeden Tag Verpflegung mitnehmen. Wie habt ihr das gelöst?
Kilian: Für die ersten Etappen konnten wir noch Verpflegung in Yakutsk kaufen. Hauptsächlich gabs da Nudeln. Für den Rest der Strecke hatten wir dann Trekking-Nahrung dabei. Das sind so Tüten mit Trockennahrung, die man dann mit heißem Wasser auffüllt. Die schmecken besser als gedacht aber haben weniger Kalorien als wir verbraucht haben.
Zum Frühstück gabs Porridge, zum Mittagessen ein, zwei Riegel und zum Abendessen besagtes Trockenfutter. Dann ist man aber auch oft hungrig ins Bett.Vereinzelt konnten wir das Frühstück mit ein paar Heidelbeeren und Cranberries aufhübschen. Einige Zwischenetappen konnten wir mit selbstgebackenem Brot und Salami feiern.
Also im großen und ganzen keine kulinarisch anspruchsvolle Reise.
Alex: Viele wird das etwas überraschen: Ihr hatte nur eine Garnitur Unterwäsche dabei. Gelegenheit zu waschen gab es sicherlich wenn man auf einem Fluss unterwegs ist. Aber wurde die Wäsche dann auch trocken?
Kilian: Da staunen einige, dass stimmt. Aber vom Prinzip her gab es zwei Garnituren: eine zum Radln mit Inlay und eine normale zum Paddeln. So wirklich oft haben wir uns nicht gewaschen, was aber eher daran lag, dass die Temperaturen nicht so zum baden eingeladen haben. Wenn man abends platt ins Zelt fällt, schreit auch kein Hahn mehr danach. Aber kleiner Tipp am Rande: Wenn man nicht komplett unterkühlt ist, trocknen die nassen Klamotten am schnellsten, wenn man sie an lässt.
Alex: Ihr habe ja nicht nur Fotos gemacht sondern auch gefilmt. Was wog denn die Ausrüstung im Vergleich zum normalen Gepäck, also Kleidung, Zelt und so weiter?
Kilian: Ich habe hier mal eine kleine Grafik, die einen Überblick zum Equipment zeigt. Das Gewicht ist in etwa so aufgeteilt:
- Kameraequipment, Objektiv, Drohne, Akkus und sonstige Elektronik: ca. 10 kg
- Zelt einzeln und Schlafsack /Isomatte pro Person: ca. 5 kg
- Essen und Snacks pro Person: ca. 16 kg
- Packraft mit Paddel, Spritzdecke, Pumpsack, Schwimmweste: 7 kg
- Ersatzklamotten, Regenjacke, Daunenjacke und Wathose: 3 kg
- Werkzeug, Ersatzriemen, Ersatzmantel und Schläuche, Flickzeug, GPS, Satellitentelefon: 4 kg
- Kocher, Benzin und Utensilien: 2 kg
- Wasser: 2 kg
Alex: Wenn ich mich recht erinnere kam beim Filmen auch eine Drohne zum Einsatz. Wo und wie habt ihr denn die Akkus aufgeladen?
Kilian: Komisch, dass man heute gar nicht mehr ohne Strom auskommt, oder? Der Hang zur umfassenden Selbstdokumentation wird immer mehr…
Das mit den Akkus war tatsächlich spannend. Wir hatten ein Solarpanel dabei, damit konnte man aber nur mäßig gut laden. Das Wetter war zu unbeständig. Wir hatten drei große Powerbanks für die GoPros, Satellitentelefon und Drohnen-Fernsteuerung. Für die Drohne hatte ich drei Akkus dabei. Wir konnten einmal in Chandyga, einem kleinen Städtchen, alles laden.
Für den Rest der Zeit musste ich einfach diszipliniert fliegen. Problematisch waren Greifvögel, die mehrfach die Drohne attackiert haben. Da schwanden gleich einige Prozentpunkte auf dem Ladebalken. Einmal hatte die Drohne einen Aussetzer und ist schnurstracks über eine Moorfläche in den Wald gerauscht. Ich glaube wir haben eine Stunde gesucht, bis wir sie wieder aus einer Baumkrone fischen konnten.
Alex: Ihr seid ja unterwegs auch mal gesegelt. Die Szenen sehen eigentlich sehr entspannt und ruhig aus. War das tatsächlich so?
Kilian: Die Ideen aus zwei Packrafts ein Segelboot zu bauen kam während der Reise. Wir konnten anfangs nicht ganz abschätzen wie lange wir für die Paddelschleife brauchen. Dann hatten wir plötzlich ein paar mehr Tage. Roman hat Segelerfahrung und so entstand aus Treibholz die Segelboot Konstruktion. Die Schnur und ein paar Metallösen konnten wir in einem Dorfladen kaufen.
Anfangs gerieten wir in eine Gewitterwolke. Da wurde die Konstruktion gleich mal auf Herz und Nieren getestet. Es ist schon ein komisches Gefühl mit 400m Abstand zum Ufer sich den Elementen so zu offenbaren. Das Boot ist abgezischt und das Segel hat den Bug bis auf die Wasseroberfläche herunter gedrückt. Das war schon viel Segelfläche für wenig Boot.
Bis wir das Boot dann im Griff hatten, verging noch etwas Zeit. Und es war nicht so leicht. Wir hatten kein richtiges Steuer, nur ein Paddel. Und da der Fluss Aldan ziemlich stark mäandert hatten wir ziemlich oft einen Windwechsel. Es hat allerdings streckenweise super funktioniert. Mit dem GPS gemessen fuhren wir teilweise mehrere Stunden 15km/h.
Für die 130km Luftlinie brauchten wir am Ende drei Tage. Wir waren dann aber froh wieder an Land zu kommen. Die letzten Tage brachten nur Regen mit sich und die Temperaturen waren deutlich gesunken.
Alex: Die Landschaft eurer Reise ist ja eher dünn besiedelt. Wie verliefen denn Begegnungen mit Einheimschen?
Kilian: Wir hatten entlang der „Road of Bones“ nur spärlichen Kontakt. Die einheimischen Yakuten sind zwar freundlich, aber eher verschlossen. Ich glaube die dachten alle wir spinnen.
Nach dem Segeln landeten wir am Ufer des Aldans an. Dort lag das Dörfchen Tatta. Auf dem Weg von dort zurück auf die „Road of Bones“ gerieten wir auf eine unpassierbare Schlammpiste. Ein paar lokale Jungs kamen zufällig vorbei und luden uns für zwei Tage zum Angeln ein. Das war ein krönender Abschluss. Denn es stellte sich als eine alkoholinduzierte Parteiveranstaltung heraus. Super witzig, aber auch ein seltsames Gefühl.
Alex: Was war denn deine schlimmste Erfahrung auf dieser Reise?
Kilian: Natürlich war mein kleiner Tauchgang am zweiten Tag auf dem Fluss etwas schwer verdaulich. Zwei Baumstämme unter der Wasseroberfläche brachten mich zum kentern. Die Strömung hat mich mit samt des Bootes unter die Baumstämme gedrückt.
Ich tu‘ mir aber schwer es als schlimmste Erfahrung zu betrachten. Es ist super glimpflich ausgegangen, aber der Lernfaktor war riesig. Der gesamte Trip hat uns Demut gelehrt. Es ist ein unfassbares Privileg, die Zeit, das Geld, die Hilfe und die Möglichkeit zu haben so eine Reise zu machen. Dass muss ich mir oft vor Augen führen.
Alex: Und was war deine schönste Erfahrung?
Kilian: Das gesamte Projekt, würde ich sagen. 😉 Vom Start mit der Planung bis hin zum letzten Wodka in Yakutsk.
Nein ehrlich: Ich könnte jetzt keinen einzelnen Moment als den schönsten betiteln. Was bei so einer Reise spannend ist, sind diese Emotionen die aus einem heraus sprudeln, die man im Alltag nicht kennt. Also das Prinzip „Lernen durch Komfortzone verlassen“ – ein Ansatz aus der Pädagogik gilt meiner Meinung nach nicht nur fürs Lernen sondern eben auch für Emotionen. Klingt furchtbar esoterisch.
Ich meine, wenn man sich drei Wochen durch die Wildnis schlägt um auf einem Berg zu stehen, auf dem noch keiner stand, dann ist das super spannend. Oder man versucht sich ein Abendessen zu angeln. Oder man baut sich ein Segelboot ohne zu wissen ob es funktioniert. Alles Dinge die einen auch aus den Alltagsgedanken bringen.
Alex: Aus eurem Abenteuer habt ihr einen Film gemacht. Wo und wann wird der denn zu sehen sein?
Kilian: Genau, dabei ist ein ca. 90 minütiger Film entstanden. Aktuell zeig ich diesen bei diversen Vorträgen zum Beispiel am 18. November in Nürnberg, am 20. November in Regensburg. Beide Male für Globetrotter in den jeweiligen Filialen um 18 Uhr. Am 11. und 12. Januar auf der CMT in Stuttgart, oder am 23.01. für den ADFC in Bayreuth.
In welcher Form der Film dann online zu sehen ist, ist noch etwas unklar. Ich denke ich werde ihn in mehrere Episoden einteilen. Das machen ich dann aber auch von den jeweiligen Kanälen abhängig.
Alex: Abschließende Frage: Würdest du eine solche Tour noch einmal machen?
Kilian: Na logisch! Wir planen schon die nächste Runde. Allerdings gibt es noch nichts spruchreifes. Sicher ist nur, dass wir wieder Rad und Boot benutzen wollen.
Die Mongolei steht momentan ganz oben auf der Liste. Interessant wäre natürlich auch Grönland oder der hohe Norden Russlands. Dort gibt es ein sehr einsames Hochplateau. Aber wir sind uns auch bewusst, dass unsere Tour einen ordentlichen Co2 Abdruck hinterlässt. Den wollen wir durch gute Planung möglichst minimieren.
Alex: Na dann, viel Spaß bei der Vorbereitung!
Mehr von Kilian Reil gibt’s online hier: kilianreil.com
[Fotos: Kilian Reil]
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