[at] Seit wenigen Wochen ist das Copenhagen Wheel offiziell im Vertrieb über Superpedestrian auch in Deutschland zu haben. Auf der Eurobike hatte ich die Gelegenheit zur Probefahrt und zum Gespräch mit Assaf Biderman, dem CEO von Superpedestrian.
Bisher war das Copenhagen Wheel offiziell nur in den USA erhältlich, doch seit der diesjährigen Eurobike ist es auch in Europa zu kaufen.
Was ist das Copenhagen Wheel?
Beim Copenhagen Wheel handelt es sich um eine Nachrüstlösung, mit der man ein konventionelles Rad zu einem Pedelec machen kann. In den USA sind auch Kompletträder erhältlich in Europa (noch) nicht.
Das spannende am Copenhagen Wheel ist, das es völlig ohne Kabel oder Lenkerbedienteile auskommt. In der auffallend roten Nabe sind der Akku, Antrieb und die komplette Sensorik integriert. das Gewicht: Etwa 7,5 kg. Die Steuerung erfolgt per Smartphone-App. Eingeschaltet wird das Wheel über einen kleinen Kippschalter an der Nabe.
Entwickelt wurde das Copenhagen Wheel am MIT (Massachusetts Institute of Technology) gemeinsam mit der dänischen Hauptstadt Kopenhagen, was dann auch die Namensgebung erklärt. Gebaut und vertrieben wird es von Superpedestrian (in etwa „Superfußgänger“).
Besonders stolz ist Assaf Biderman (CEO von Superpedestrian, in 0:37 des Videos kurz am Zeichentisch zu sehen) auf die eigens entwickelte Sensorik. „An deren Verwirklichung waren einige ehemalige Mitarbeiter führender US-amerikanischer Robotikfirmen wie Amazon, Apple, Google oder iRobot beteiligt“ sagt der sympathische US-Amerikaner nicht ohne Stolz.
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Fortgeschrittene Sensorik
Das besondere Know-How des Copenhagen Wheel steckt in der Sensorik. Diese wertet permanent diverse Parameter aus um ein möglichst nahtloses Fahrerlebnis zu schaffen. Unter anderem wird die Leistung des Fahrers, die Topographie und die Kadenz ausgewertet. So beginnt das Copenhagen Wheel beispielsweise bei einem Gefälle ab ca. 1% schon, dezent zu rekuperieren um damit den Akku aufzuladen und so die Reichweite zu verlängern.
Wie beim Zehus-Antrieb kann man auch durch Rückwärtstreten bremsen und damit rekuperieren ohne die mechanischen Bremsen zu betätigen.
Die Sensorik des Copenhagen Wheel soll sich an die Fahrweise von Fahrerin oder Fahrer anpassen und so die individuell und vor allem den aktuellen Umständen entsprechend beste Unterstützung bieten.
Steuerung per App
Das Copenhagen Wheel setzt die Nutzung eines Smartphones voraus: Ab Werk ist es gesperrt und wird erst aktiviert, wenn es mit einem Smartphone, Android oder iOS, gekoppelt wird.
Nach dem Kopplungsvorgang erkennt es bei Annäherung via Bluetooth das Smartphone und aktiviert den Antrieb. „Wenn du dich mit dem Smartphone näherst nimmt das Wheel Kontakt mit dem Smartphone auf und fragt auf unserem Server nach, ob dieses Smartphone es entsperren darf. Nur wenn die Antwort positiv ausfällt wird es sich aktivieren“ erklärt Assaf Biderman den Vorgang. Bei der Demonstration erfolgt dieser gesamte Vorgang innerhalb von wenigen Sekunden, weniger als die Zeit die ich brauchen würde um das an einer Laterne angeschlossene Rad zu entsperren, was zusätlich natürlich mehr als sinnvoll ist.
Und wenn die Verbindung mal nicht klappt oder der Akku des Smartphones leer ist? „Genau deshalb haben wir keine mechanische Verriegelung vorgesehen. In einem solchen Fall musst du dein Rad also nicht tragen sondern kannst es immer noch wie ein normales Rad nutzen“ antwortet Assaf verschmitzt grinsend auf meine Frage.
Doch die App und die Sensorik kann noch viel mehr. Dazu wechselt Assaf in den „Profi-Mode“ der App, die für den normalen Kunden nicht zugänglich ist.
„Wir haben eine sehr ausgeklügelte Selbstdiagnose implementiert. Beispielsweise erkennt das Wheel, wenn es auf der Seite liegt…“ dabei legt Assaf ein Fahrrad auf die Seite und nahezu gleichzeitig meldet der Sensor in der App, dass das Rad auf der Seite liegt „… und deaktiviert den Antrieb. Damit schützen wir den Nutzer im Fall des Falles vor einem sich unkontrolliert drehenden Rad. Und nur wenn der Benutzer vorher ausdrücklich zustimmt, kann das Wheel nach einem bestimmten Zeitraum einen Notruf über unsere Server absetzen. Wir nennen das unser ‚Fahrrad-Immune-System'“
Assaf richtet das Rad wieder auf, sofort erlischt in der App die Meldung. „Du siehst, sobald das Rad wieder aufgerichtet ist, wird das System automatisch wieder aktiviert. Ähnliche Sensoren haben wir beispielsweise auch für zu geringe oder hohe Temperaturen oder bei einem Kurzschluss eingebaut. Wir tun wirklich alles, dass unsere Kunden sicher mit dem Copenhagen Wheel unterwegs sein können. Apropos unterwegs sein: Willst du nicht mal eine Runde drehen?“ Klar will ich.
Probefahrt
Die Eurobike 2017 ist ziemlich verregnet, doch ich habe gerade eine Regenpause erwischt, als ich mit einem Rennrad, in dem das feuerrote Copenhagen Wheel eingebaut ist, unterwegs bin.
Ich fahre los, sortiere erst einmal die Gänge; der vorherige Testfahrer hatte die Schaltung beim Abstellen in einem hohen Gangbereich gelassen. Hier merke ich schon, dass das Copenhagen Wheel anders reagiert als mir bekannte Pedelec-Systeme. Normalerweise folgt bei einem, durch den hohen Gang bedingten, starken Tritt beim Anfahren ein kräftiger Anschubser durch den Motor.
Das Wheel scheint aber die Geschwindigkeit und auch die Topographie (auf dem Messegelände ist es topfeben) zu berücksichtigen und daraus den Schluss zu ziehen, dass es eben nicht kräftig mithelfen muss. Langer Rede kurzer Sinn: Ich fahre an, wie man mit einem Rad in einem hohen Gang eben anfährt, fühle aber trotzdem eine leichte Unterstützung, meine Kniegelenke freut’s.
Nach dem Sortieren der Gänge muss ich einige Besucher umkurven, das geht problemlos, die Unterstützung durch das Copenhagen Wheel führt auch in der eingestellten hohen Stufe (es gib vier davon: Turbo, Standard, Eco und Exercise) nicht dazu, dass ich Passanten in die Fersen fahre. Kurz antreten, rückwärts treten um eine gute Pedalstellung zu bekommen…Moment, ah ja, das Wheel bremst ja beim Rückwärtstreten.
Es sind weniger Besucher unterwegs, ich muss links abbiegen um zur Teststrecke zu kommen. Zum Abbremsen trete ich einfach etwas energischer rückwärts und tatsächlich, ich komme ohne Bremse aus. Sehr praktisch bei vorausschauender Fahrweise.
Das ganze wird für den Benutzer übrigens völlig transparent und übersichtlich auf der App angezeigt: Im Zentrum eines Kreises steht die aktuelle Geschwindigkeit, der linke Halbkreis zeigt die aktuelle Leistung des Copenhagen Wheel, der rechte die aktuelle Leistung des Fahrers an. Beim Rekuperieren wechselt die Leistungsanzeige des Fahrers von blau auf grün, ebenso wird der Akkubalken grün: Sieh her, du erzeugst gerade Energie.
Hier ein kurzes Video mit der Demo der Rekuperation:
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Da das Wheel ein Hinterradnabenmotor ist, klappt das Schalten wie gewohnt. Es gibt also keinerlei Schaltunterbrechung wie bei vielen Mittelmotoren. Dass die Unterstützung sehr harmonisch erfolgt, hat ja schon das Kurven durch die Menschenmenge gezeigt. Doch wie ist es bei Stehversuchen oder dem langsamen Fahren enger Kurven? Auch das klappt ganz hervorragend, keine plötzlichen Leistungsspitzen oder Anschubser des Antriebs, es ist fast, als wäre er nicht da.
Ich würde je gerne noch ein bisschen länger fahren, doch am Stand warten noch andere Interessenten.
Wie kommt man zum Copenhagen Wheel?
„Und, wie war’s?“ begrüßt mich Assaf. „Beeindruckend“ antworte ich „doch wie kommt ein Interessent an ein Copenhagen Wheel?“
„Ein Kunde kann das Wheel online bestellen. Wir führen ihn mit entsprechenden Fragen durch den Bestellvorgang. Auf diese Weise verhindern wir beispielsweise, dass jemand mit einem Bike mit Scheibenbremsen das Wheel bestellt, denn es passt nur für felgengebremste Räder. Sollte der Kunde nicht weiterkommen, haben wir in unserer Europazentrale in den Niederlanden sehr qualifizierte Mitarbeiter, die dem Kunden auch telefonisch weiterhelfen können. Nach Abschluss der Bestellung produzieren wir ein auf die Radgröße und Felgenbreite maßgeschneidertes Copenhagen Wheel, das der Kunde innerhalb einer Woche erhält.“
„Innerhalb einer Woche?“ entgegne ich überrascht. „Wir produzieren die Naben des Copenhagen Wheels mit extreme hoher Qualität in den USA, die Anpassung, das Einspeichen, also die Endfertigung des Rades, erfolgt aber in den Niederlanden, deshalb die kurze Lieferzeit“ antwortet Assaf Biderman. „Doch unsere größte Herausforderung ist, den Menschen eine Probefahrt zu ermöglichen.“ Das sehe ich genaus so. Denn man kann vieles lesen oder sich Videos ansehen, aber nur bei einer Probefahrt kann man das Copenhagen Wheel im wahrsten Sinne erfahren.
Auch deshalb, aber auch für Kunden die den persönlichen Kontakt vorziehen,soll noch ein Händlernetz aufgebaut werden. In einem solchen Szenario ginge dann der Kunde zum Händler, der zum einen das Rad auf Eignung überprüft und zum anderen mit dem Kunden den Bestellprozess durchgeht.
„Und was ist, wenn eine Fehlfunktion auftritt?“ will ich noch wissen. „Eine Fehlfunktion kann natürlich immer mal auftreten. In einem solchen Fall kann der Kunde unseren Support kontaktieren, der nach Einwilligung durch den Kunden die Logfiles der Sensoren durchschauen kann. Wenn es kein grober mechanischer Fehler ist bekommen wir das aus der Ferne hin.“ Updates erhält das Copenhagen Wheel übrigens auch „over-the-air“, mit Hilfe des Smartphones.
Und was soll es kosten? „Die Kalkulation ist noch nicht ganz abgeschlossen, aber es wird in Europa um 1.500€ inkl. Versand kosten.“
Fazit
Das Copenhagen Wheel ist ein faszinierendes Stück Technik. Auch wenn ich persönlich der galoppierend um sich greifenden „Smartphoneritis“ etwas kritisch gegenüber stehe, ist die Anbindung per Smartphone in diesem Fall konsequent: Es gibt schlicht keine anderen Bedienelemente. Und wer zum Beispiel nicht die Unterstützungsstufe während der Fahrt ändern will kann das Smartphone auch in der Tasche lassen.
Doch wenn mal keine Internet-Verbindung verfügbar ist wird das Copenhagen Wheel zum normalen Rad. Das sollte für die Zielgruppe der Städter jedoch kein Problem sein. Für Menschen, die auf Understatement wert legen ist das Copenhagen Wheel auf Grund der leuchtend roten Farbe aber vermutlich eher weniger geeignet.
Die Unterstützung ist, wie Assaf Biderman versprach, sehr harmonisch, ’seamless‘ wie der Amerikaner sagt. Natürlich habe ich nichts von einem adaptiven Lernprozess spüren können, dafür war die gefahrene Strecke auf der Eurobike einfach zu kurz. Aber vielleicht ergibt sich ja mal ein längerer Testzeitraum, ein geeignetes Rad hätte ich ja…
Mehr Informationen sind im Web unter https://content.superpedestrian.com/de/de_DE/the-copenhagen-wheel zu finden.
Über Superpedestrian
Superpedestrian ist ein in Cambridge (Massachusetts) ansässiges Transport-Robotik-Unternehmen. Das aus dem MIT (Massachusetts Institute of Technology) entstandene Unternehmen nahm seine Geschäftstätigkeit im Jahr 2013 auf und entwickelt neue Technologien für Ein- und Zweipersonenfahrzeuge mit Schwerpunkt auf städtische Mobilitätsanwendungen. Das erste Produkt des Unternehmens ist das Copenhagen Wheel – ein Robotiksystem, das die Grundlage der fortschrittlichsten Elektrofahrräder am Markt bildet.
[Fotos: VeloStrom (4), Austin Federa (1), Videos: VeloStrom (1), Superpedestrian (1)]
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