Paracycler Matthias Schindler hat sich für die Paralympischen Spiele 2020 in Tokio qualifiziert. Die Verschiebung ins Jahr 2021 findet er absolut richtig.
„In dieser Zeit wird mir mal wieder bewusst, dass es so viel wichtigere Dinge als den Sport gibt. Dennoch bin ich Profisportler und möchte euch gern über die vergangene Zeit berichten und euch an meinen Gedanken zur aktuellen Lage rund um den Corona-Virus und die Verschiebung der Spiele in Tokio teilhaben lassen.
Rückblick
Anfang Februar hatte ich zwei wirklich gute Trainingswochen auf Mallorca. Ich verbrachte dort sehr viel Zeit mit Hendrik, meinem Trainer, welcher auf Mallorca lebt. In der zweiten Woche kam meine Frau Siw noch nach Mallorca nach, was für mich ein großes Geschenk war. Nie zuvor hatte ich im Februar so tolles Wetter und so gute Trainingsbedingungen auf der Insel wie in diesem Jahr.
Wir hatten eine kleine Finca in der Nähe von Petra und ich habe die Ruhe dort sehr genossen. Zusätzlich zum Radtraining und dem ergänzenden Krafttraining habe ich in diesem Jahr begonnen, in der Früh gleich nach dem Aufstehen täglich ein 24 Minuten HIT-Training zu machen, was ich auf Mallorca im Freien auf der Terrasse machen konnte. So habe ich trotz Schweiß und Schmerzen jeden Morgen den Sonnenaufgang besonders genießen können.
Mitte Februar kam ich dann zurück nach Nürnberg und habe das Training zu Hause fortgeführt. Am 20. Februar war ich zur Sportlerehrung der Stadt München geladen und verbrachte dort einen schönen Abend. Der Rückblick auf vergangene Wettkämpfe und Platzierungen tat gut, viel zu selten genieße ich solche Momente. Gefühlt muss es immer gleich weiter gehen, immer das große Ziel Tokio im Fokus. Der Vizeweltmeistertitel im Zeitfahren aus 2019 scheint ewig her zu sein, dabei sind es nur ein paar Monate.
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Am 26. Februar bin ich zum Olympiastützpunkt Freiburg zur jährlichen Sportmedizinischen Untersuchung mit Leistungsdiagnostik gefahren. Das wichtigste zuerst, ich bin kerngesund! Sehr gefreut habe ich mich über meinen stärksten Leistungstest für einen Februar zusätzlich zum niedrigsten Körperfettwert, der je bei mir gemessen wurde. Das Ergebnis von Training und Disziplin über die Wintermonate hatte ich jetzt auch schwarz auf weiß.
Mit einem guten Gefühl bin ich Ende Februar mit der Nationalmannschaft nach Lanzarote ins Trainingslager geflogen. Wir waren in diesem Jahr ein sehr kleines Team, da nur ein erweiterter Kreis der für Tokio in Frage kommenden Athleten zu diesem Leistungslehrgang eingeladen wurden. Das war für uns Athleten sehr entspannt, da alles etwas ruhiger zuging und wir mit zwei Physiotherapeuten top betreut waren.
Das Trainingslager auf Lanzarote war für mich gefühlt das beste Trainingslager meiner bisherigen Laufbahn. Ich habe so intensiv trainieren können wie selten zuvor. Bereits in der ersten Woche habe ich gemerkt, dass ich über ungewohnt viel Energie verfügte und mein Körper schwer zu ermüden war. Auch in der zweiten Woche konnte ich das Level sehr hoch halten. Die Bedingungen auf Lanzarote waren perfekt, die Hitze und der Wind haben mich zusätzlich mental und körperlich gefordert. Die zwei Wochen dort sind schnell vergangen und wir hatten ein perfektes Timing was den Rückflug betraf. Ich bin planmäßig am Sonntag den 15. März zurück nach Deutschland geflogen, genau der Tag, an dem in Spanien die Ausgangssperre bezüglich Corona erlassen wurde.
Ich bin gut zurück nach Nürnberg gekommen in dem Wissen, bereits einige Wochen diszipliniert und fokussiert an mir gearbeitet zu haben. Ich kann sagen, dass ich in meinem Leben noch nie so fit war wie jetzt. Ich habe in diesem Jahr schon viele Stunden im Kraftraum verbracht und bereits 6000 km auf dem Rad absolviert.
Die COVID-19-Pandemie beschäftigt mich natürlich auch.
Als Sportler kann ich sagen, dass ich dankbar bin so tolle Sponsoren zu haben, dank derer ich einen eigenen Fitnessraum zuhause habe. Ich habe perfekte Trainingsbedingungen daheim. Solange es noch erlaubt und vor allem gesundheitlich vertretbar ist, trainiere ich mit dem Rad noch im Freien, vor allem bei den längeren Radeinheiten. Aber auch hier habe ich dank Wahoo super Trainingsbedingungen daheim und könnte jede Einheit auch indoor auf meinem Wahoo Kickr fahren.
Allerdings merke ich natürlich, dass der Olympiastützpunkt die Physioeinrichtungen geschlossen hat und mir auch sonst, richtigerweise, derzeit keinerlei Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Mit Faszien- und Athletiktraining sowie PowerDot-Einheiten versuche ich hier selbst so gut wie möglich Vor- und Nachsorge zu betreiben.
Ich verfolge die Entwicklung bezüglich COVID-19 und muss sagen, dass ich diesbezüglich nur Luxusprobleme habe. Derzeit bin ich kerngesund und ich gehöre wohl nicht zur „Risikogruppe“. Ich möchte meinen Beitrag leisten und vermeiden, dass von mir in irgendeiner Weise eine Gefahr der Übertragung für andere Menschen entsteht. Ich denke es ist unser aller Pflicht, den notwendigen Beitrag zu leisten, um den Anstieg der Infektionskurve abzuflachen.
Ausblick
Nachdem die ersten kleineren Rennen im April in Deutschland abgesagt wurden, wurden jetzt auch die Spiele in Tokio auf 2021 verschoben. Dazu kann ich nur sagen, dass ich die Entscheidung absolut richtig finde. In Tokio wären im August tausende Menschen aus der ganzen Welt auf engstem Raum zusammengekommen, um sich im Anschluss wieder auf die ganze Welt zu verteilen. Die gesundheitlichen Risiken wären dadurch mit Sicherheit zu hoch.
Habe ich jetzt mein Ziel Tokio 2020 verfehlt? Definitiv nicht, denn sportlich habe ich mich qualifiziert.Mein Weg ist jetzt nur länger geworden. Ist das jetzt schade für mich? Das kann ich schon erstmal bejahen. Die Teilnahme an den Spielen in Tokio war und ist mein großes Ziel und mit der Qualifikation hatte ich dieses Ziel eigentlich schon erreicht. Allerdings ist das „Erleben“ der Spiele natürlich ein wichtiger Teil der mir noch fehlt. Der Weg bis hierher war lang und hart. Ich habe nicht das Gefühl, dass mir von Beginn meiner Sportkarriere die Dinge zugefallen sind, sondern dass ich mir jeden Fortschritt mühsam erarbeiten durfte. Gerade im privaten Bereich hat das auch mit jahrelangen Einschränkungen und Verzicht zu tun. Daher trifft die Verlegung der Spiele auch meine Frau sehr.
Und trotzdem möchte ich nicht in die Denkweise verfallen, dass das jetzt für mich blöd gelaufen oder schade ist. Ich bin dankbar, dass ich gesund bin. Dankbar, dass meine Existenz nicht auf dem Spiel steht. Viele kämpfen gerade gesundheitlich mit dem Virus, viele kämpfen wirtschaftlich um ihre Existenz, da werde ich mich nicht beschweren, dass mich mein Weg in diesem Jahr nicht nach Tokio führt.
Ob meine Qualifikation auch für 2021 gültig ist, weiß ich nicht. Zu diesem Thema kenne ich noch kein Statement des Deutschen Behindertensportverbandes. Ich gehe aber stark davon aus, denn sportlich habe ich mich qualifiziert und wir werden kaum die Zeit haben, jetzt wieder bei Null mit der Quali für 2021 zu beginnen. Ich halte euch diesbezüglich auf dem Laufenden.
Ich ziehe mein Training wie geplant bis Anfang Juni durch. Hier ist derzeit noch die WM in Ostende terminiert, ob diese stattfindet ist allerdings fraglich. Am kommenden Sonntag wäre ich eigentlich wieder nach Mallorca für ein zweiwöchentliches Trainingslager geflogen. Ich fliege natürlich nicht, werde aber den Trainingsplan und somit das Trainingslager daheim durchführen und bin gespannt, was ich dabei alles über mich selbst lernen werde.
Im Anschluss an die geplante WM im Juni werde ich eine Woche Saisonpause machen und danach mein Training bis September wieder aufbauen, so wie ich es für die Spiele geplant hatte. Alle Rennen die ausfallen werde ich simulieren. So bleibe ich im Rhythmus und kann mich sportlich weiterentwickeln. Im September beende ich dann wie geplant meine Saison 2020. Dann werde ich sehen, wie es Richtung 2021 weiter geht.
Für mich gibt es jetzt keinen Grund etwas kürzer zu treten oder gar das Training einzustellen. Gerade jetzt ist es mir sehr wichtig fokussiert zu bleiben um meine erarbeiteten Fortschritte nicht zu verschenken.
Sponsoren
Die Sporthilfe hat bereits mitgeteilt, dass die Förderung bis 2021 fortgeführt wird und die Fördergelder gesichert sind. Das ist für mich beruhigend zu wissen. Der Goldene Ring hat verständlicherweise die Förderung der Athleten ab April 2020 von der „erhöhten Tokio Förderung“ wieder auf das normale Stipendium zurückgesetzt.
Gerade gibt es viel wichtigere Dinge als Sportförderung. Von einigen Ausrüstern und Sponsoren habe ich in diesem Jahr die Unterstützung noch nicht erhalten. Diesbezüglich ist es mir extrem wichtig zu sagen, dass Arbeitsplätze und die Sicherheit des einzelnen Unternehmens natürlich absolute Priorität haben. Ich hoffe sehr, dass alle meine Partner diese Krise überwinden, gestärkt heraus gehen und keinen Mitarbeiter kündigen müssen.
Ich weiß nicht wirklich wie man sich in dieser Situation richtig verhält. Es ist glücklicherweise die erste Pandemie, die ich erlebe. Daher versuche ich es wie vor COVID-19 auch mit einem dankbaren Lebensstil und dem Fokus darauf, was ich aus der Krise lernen darf.“
Aktuelle Infos gibt`s wie immer auf Facebook (www.facebook.com/schindlerparacycling/), Instagram (www.instagram.com/matthias_schindler_official/) sowie Twitter (www.twitter.com/schindlermatze).
[Text & Fotos: Matthias Schindler]
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