bosch_pedelec_abs_teststrecke_eurobike
Test & Technik

E-Bike-ABS: Braucht’s das?

Lesezeit etwa 7 Minuten

[at] Auf der diesjährigen Eurobike habe ich das neue E-Bike-ABS von Bosch erstmals getestet. Doch brauchts das wirklich?

Rückblick: Anfang der 80iger Jahre des letzten Jahrtausends habe ich das erste ABS in einer Mercedes S-Klasse gesehen: Das Steuergerät war so groß wie ein Aktenkoffer und der Aufpreis war enorm. Nur wenige konnten sich deshalb das Fahrzeug und das Sicherheitssystem leisten.

ABS beim Auto…

Ende der 80iger Jahre begann das ABS auch im Auto für Normalverdiener zur Normalität zu werden. Doch viele Menschen vertraten die Meinung „Ein guter Fahrer bremst doch immer besser!“ Heute gehört selbst bei Kleinwagen das ABS so selbstverständlich zur Grundausstattung wie Fahrersitz oder Lenkrad.

beim Motorrad…

Mitte der 90iger Jahre des letzten Jahrtausends war das ABS, vor allem bei BMW-Motorrädern, im Markt angekommen.  Doch auch hier hielt sich jahrzehntelang die Meinung vor allem bei sportlichen Fahrern, dass ein Mensch immer besser bremsen würde. Heute gehört das ABS auch beim Motorrad zum serienmäßigen Ausstattungsumfang dazu.

Und trotz der nachgewiesenen Vorteile des ABS fühlen sich noch immer viele Motorradfahrer bevormundet.

und beim E-Bike.

Jetzt kommt also von Bosch und Magura das ABS am Pedelec. Und wieder regt sich die Frage: Braucht’s das wirklich?

 

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Standard. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf den Button unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Weitere Informationen

Im Gespräch auf der Eurobike sagte Claus Fleischer (Geschäftsführer Bosch eBike Systems): „Wir haben uns bei der Entwicklung des ABS die Unfallstatistiken genau angeschaut. Deshalb führen wir das ABS zunächst ausschließlich an Trekking- und Citybikes mit 28 Zoll Reifen ein. Denn gerade Neu- und Wiedereinsteiger sowie Gelegenheitsfahrer sind oftmals mit den heutigen, hoch effektiven Bremssystemen überfordert.“

Damit entkräftet Claus Fleischer gekonnt den zu erwartenden und auch schon geäußerten Spruch „vom routinierten Fahrer, der immer besser bremsen“ würde.

Im Laufe der Zeit habe ich persönlich auf einigen Sicherheitstrainings sowohl beim PKW als auch beim Motorrad die Vorteile des ABS kennen und schätzen gelernt: Stets reproduzierbar gute Bremssleistungen auf  höchst möglichem, an die aktuellen Fahrbahnbedingungen angepasstem Niveau. Und trotzdem bin ich beim Einsatz von ABS auf dem E-Bike skeptisch.

Ausführliches Probebremsen

Aber ich weiß auch: Gerade beim ABS gilt der Spruch „Versuch macht kluch“ und so habe ich natürlich das E-Bike-ABS auf dem eigens von Bosch aufgebauten Test-Parcours auf der Eurobike ausprobiert.

Zum Test standen Trekking-Pedelecs bereit, die Funktion des ABS wurde von kundigen Bosch-Mitarbeitern vor den Probebremsungen erläutert:

bosch_pedelec_abs_am_pedelec_eurobike
Die ABS Kontrolleinheit ist am Vorbau des E-Bike (blauer Kreis) befestigt. (Klicken zum Vergrößern)

Das System besteht aus der ABS Kontrolleinheit die am Vorbau des E-Bike befestigt ist, einer separaten ABS Kontrollleuchte, den ABS Radgeschwindigkeitssensoren und der von Magura neu entwickelten Bremse „CMe ABS“.

Das Antiblockiersystem wirkt nur auf das Vorderrad und aktiviert sich ab einer Fahrgeschwindigkeit von sechs Kilometern.  Das Gewicht aller Komponenten beträgt etwa 800 Gramm.

Der Parcours bestand aus zwei gegenüberliegenden Geraden, eine davon mit Asphalt, die Gegengerade über einige Metern mit Splitt belegt.

Die Strecke ohne Splitt diente dazu, die Funktionsfähigkeit, insbesondere der Überschlagskennung, des ABS auch auf trockener, griffiger Strecke zu demonstrieren.

Und auf dem Splitt sollte das ABS sein Können unter Beweis stellen.

Bei meinen Bremsversuchen wurde ich übrigens darum gebeten bewusst nur vorne, aber dafür mit aller Kraft, zu bremsen. In der Praxis würde der geübte Radler selbstverständlich auch hinten bremsen. Doch hier ging es ja weniger um den geringst möglichen Bremsweg als darum, die Leistungsfähigkeit des Systems zu testen.

Griffiger Asphalt

bosch_pedelec_abs_teststrecke_eurobike
Auf der Eurobike 2017 konnte das E-Bike-ABS erstmals getestet werden (Klicken zum Vergrößern).

Jetzt neigt ein Trekking-E-Bike mit relativ langem Radstand, vergleichsweise flachem Lenkkopf und langem Nachlauf ja prinzipiell weniger dazu, sich beim starken Bremsen zu Überschlagen.

Trotzdem ist auch beim heftigen Ankern auf griffigem Belag bei einem Rad ohne ABS und Überschlagskennung deutlich zu spüren, dass das Heck leichter wird.

Nicht so allerdings beim mit ABS ausgestatteten E-Bike:

Beim starken Bremsen auf dem griffigen Asphaltstück ist nicht zu spüren, dass das Heck leichter wird oder gar nach oben kommt. Das ABS regelt die Bremskraft automatisch an der maximal möglichen Verzögerung entlang und macht unmerklich „auf“ sobald die Sensoren melden, dass das Hinterrad beginnt abzuheben. Das alles passiert in solch kurzen Intervallen, dass man als Mensch nur einen durchgängigen Bremsvorgang wahrnimmt.

Splitt

Wie bereits gesagt, war die Gegengerade zum griffigen Asphaltstück üppig mit Splitt bestreut und zwar bis kurz vor dem Ende der Testrecke, die an dieser Stelle in das Standzelt auslief. Bei einer Schreckbremsung bei diesen Bedingungen in einer Gefahrensituation würde ein blockierendes Rad beim ungeübten Radfahrer sicher zum Sturz führen und auch der geübte Radler sicher seine Mühe haben. 

bosch_abs_test_split_eurobike

Meine erste Bremsung fällt noch moderat aus, mit relativ geringer Geschwindigkeit bremse ich vorne mit aller Kraft…und merke deutlich, dass das System kurz vorm Blockieren aufmacht, direkt wieder bremst, wieder aufmacht und so weiter bis ich zum Stehen komme. Dabei ist von einem pulsierenden Bremshebel, wie ich es vom frühen Motorrad-ABS kenne, nichts zu spüren. Beeindruckend.

Also gleich noch ein Runde, diesmal mit mehr Geschwindigkeit. Das Ergebnis ist nicht weniger beeindruckend: Kein Blockieren, kein Rutschen sondern kontrollierte, maximal mögliche Verzögerung. Toll!

Dritter Versuch. Ich bin so schnell, dass mich das ABS auf der Splittstrecke nicht zum Stehen bringt! Und jetzt kommt der gleiche Effekt wie beim Motorrad-ABS zum Tragen: Ich sehe das Ende der Teststrecke auf mich zu kommen und denke, dass ich gleich im Zelt zwischen Besuchern und Bosch-Mitarbeitern einschlagen werde, halte aber die Bremse weiter gezogen.

Am Ende der Splittstrecke steigt die Haftung zwischen Reifen und Boden stark an, ohne ABS und mit gezogener Bremse wäre jetzt ein Abstieg über den Lenker wahrscheinlich. Nicht aber hier: Das E-Bike-ABS kann mit maximaler Verzögerung bremsen. Und das tut es auch, langt, unterstützt von der Überschlagskennung, voll in die Eisen und bringt mich mit deutlich kürzerem als von mir berechneten Bremsweg zum Stehen, lange bevor ich mit der gesamten Fuhre im Zelt stehe! Wow, eine wirklich beeindruckende Vorstellung! 

Diese Bremsperformance funktioniert momentan jedoch nur bei Geradeausfahrt, wie mir eine Technikerin von Bosch bestätigt. Bis das Kurven-ABS serienreif ist dauert es noch ein bisschen. Aber das war beim Motorrad auch nicht anders und tut dem System meiner Meinung nach grundsätzlich keinen Abbruch.

E-Biker-ABS, braucht’s das?

Die Frage aller ABS-Fragen bleibt: Bremst der geübte Fahrer besser?

In einer kontrollierten Situation, beim Testen oder bei einem Rennen: Vielleicht. Doch, Hand aufs Herz: Bei wie vielen von uns ist das der Fall? Der Alltag sieht doch meist anders aus: Der Hase, der kurz vorm Rad über den Weg läuft, der Ball der aus einer Einfahrt hervorrollt… 

Ich denke, das ABS ist auch beim E-Bike ein klarer Sicherheitsgewinn. Nicht nur für die zunächst avisierten Wiedereinsteiger, sondern auch für den versierten E-Bike-Fahrer. Denn man ist eben nicht immer zu 100% auf’s Bremsen konzentriert. Vor allem nicht, wenn man sich beispielsweise mit einem Mitfahrer unterhält oder gar zwischendrin mal am Smartphone rumhantiert…

Klar, beim MTB ist ein blockierendes Rad möglicherweise sogar gewollt und von Vorteil, aber dann doch eigentlich eher das hintere. Und das könnte bei der momentanen Auslegung auch weiterhin der Fall sein. 

Wohl nicht ganz umsonst hält sich Claus Fleischer von Bosch mit seiner Aussage alle Optionen offen: Es sei durchaus denkbar, wenn die technische Entwicklung und der Markt es zulassen, das E-Bike-ABS auch auf andere Radgattungen zu adaptieren. Chapeau Bosch, tolle Leistung!

Meine Prognose

Das E-Bike-ABS wird den gleichen Weg wie das Motorrad- und davor das PKW-ABS beschreiten: Zunächst nur für eine bestimmten Kundenkreis gedacht und von vielen kritisch beäugt wird es in wenigen Jahren zum selbstverständlichen Ausstattungsumfang von E-Bike gehören.

Reden wir in 10 Jahren nochmal drüber?

[Fotos: VeloStrom, Video: Bosch]

Newsletter-Abo-Motiv-Fatbike
Alexander Theis

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert