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Test & Technik

Themenwoche Lastenrad: Fraunhofer ISE entwickelt spezielles Brennstoffzellen-System für Pedelecs, Teil 1

Lesezeit etwa 7 Minuten

[at] Kann ein Brennstoffzellensystem ein Akku-System an einem Pedelec ersetzen? Erster Teil einer mehrteiligen Artikelserie, exklusiv auf VeloStrom!

Die Idee, eine Brennstoffzelle für den Antrieb eines Pedelecs einzusetzen ist nicht neu. Beispielsweise baut Pragma-Industries aus Frankreich mit dem Alpha das erste kommerzielle erhältliche Brennstoffzellenfahrrad. Auch Linde präsentierte 2015 einen entsprechenden Protoytpen, die Gemeinsamkeit aller bisher präsentierten Ansätze war allerdings ein eher wenig elegantes Äußeres und ein hohes Gewicht.

Wäre es möglich, ein Brennstoffzellensystem zu entwickeln, mit dem das komplette Pedelec unter 15 kg wiegt und das wie ein „gewöhnliches“ Trekkingbike aussieht?

Um diese Frage zu beantworten, wurde am Fraunhofer ISE in der Abteilung Brennstoffzellensysteme von einem Team rund um Dr. Timo Kurz in Zusammenarbeit mit dem Conodrive-Entwickler José Fernandez ein kompaktes, funktionsfähiges Demo-System geplant und entwickelt.

Obwohl das Brennstoffzellensystem für das ConoDrive-Konzept entwickelt wurde ist es prinzipiell und mit relativ geringem Aufwand auch für andere Pedelecs, auch Lastenpedelecs einsetzbar.

Die Brennstoffzelle

In einer Brennstoffzelle wird durch die Reaktion von Wasserstoff (H₂) und Sauerstoff (O₂) elektrischer Strom erzeugt, als „Abfallprodukt“ fällt Wasser (bzw. feuchte Luft) an. Die Brennstoffzelle selbst besteht aus verschiedenen Schichten und es gibt verschiedene Bauarten.

Das Team um Dr. Kurz entschied sich für Polymer-Elektrolyt-Membran-Brennstoffzellen (PEMFC). Dieser Brennstoff­zellentyp wird auch für automobile Anwendungen eingesetzt. Bei der PEMFC trennt eine protonenleitende und mit einer Katalysatorschicht versehene Membran Anoden- und Kathodenraum. Die Gase Wasserstoff und Sauerstoff werden über diese Membranen geleitet, reagieren miteinander und erzeugen dabei elektrischen Strom.

Um eine Brennstoffzelle in der Praxis als Energieerzeuger nutzen zu können, werden mehrere Zellen in Reihe geschaltet und zu einem sogenannten „Stack“ verbunden. Je nach Anzahl der Zellen eines Stacks variieren somit Anschlussspannung und Leistung.

Basis: Pedelec-Konzept Conodrive

Als Basis für das System diente das Pedelec-Konzept Conodrive, bei dem bei der Entwicklung die Themen „Effizienz“ und „geringes Gewicht“ ganz oben im Lastenheft standen: Der Antrieb sollte nur dann zu spüren sein, wenn er tatsächlich benötigt wird. Ansonsten sollte er weder Energie aus dem Akku noch zusätzliche Kraft aus den Beinen von Fahrerin oder Fahrer ziehen. Außerdem sollten Motor und elektronische Steuerung den höchstmöglichen Wirkungsgrad erreichen den die modernste Technik zur Verfügung stellen kann.

Durch gemeinsame Unterbringung von Akku und Antrieb in unmittelbarer Nähe zueinander in einer schlanken Gepäckträgerstruktur bleibt das Erscheinungsbild eines sportlich-eleganten Trekkingrades gewahrt. Das Konzeptrad, mit dem der Antrieb 2016 auf der Spezialradmesse in Germersheim vorgestellt wurde, kam auf ein Gewicht von gerade einmal 13,25 kg.

Ziele und Anforderungen

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Im Rahmen des Projektes sollte der im ConoDrive-System vorhandene Akkublock mit einem Brennstoffzellen-Batterie-Hybridsystem mit nahezu gleichen Dimensionen und Gewicht ersetzt werden.

Besonders folgende Ziele und technischer Anforderungen fanden Beachtung:

(1) Geometrie und Gewicht
• Das Brennstoffzellensystem mit Pufferakku sollte in dem bisherigen Akku-Gehäuse des ConoDrive (153x47x296mm) Platz finden
• Das System sollte nicht wesentlich schwerer als das mit 2,6 kg schon sehr leichte ConoDrive-Akku-System sein

(2) Wasserstoff-Tank
• Die Befüllung des Tanks in erster Linie für den Anwender praktikabel sein. Hierfür bieten sich kompakte Niederdruck-Elektrolyseure an. Dabei entfällt dann eine komplexe Betankungs-Infrastruktur mit Kompressor, Kühlung usw., wie sie für Wasserstofftankstellen im Automobilbereich notwendig ist.

(3) Leistung und Energieinhalt
• Im Sinne des Conodrive ist das System für den sportlichen Radfahrer gedacht, der die Unterstützung ausschließlich bei Steigungen benötigt. Es sollte den Benutzer für mindestens 1,5 Stunden mit einer durchschnittlichen Leistung von über 150 W unterstützen können, daher sollten Speicher und Akku zusammen unter Berücksichtigung von Verlusten eine elektrische Nutzenergie von min. 250 Wh an den Motor liefern können.
• Mindestens die Hälfte der Nutzenergie sollte vom Brennstoffzellensystem bereitgestellt werden. Unter Annahme eines elektrischen Wirkungsgrades des Brennstoffzellensystems von ca. 40% ergibt sich eine zu erreichende notwendige Kapazität für den Tank von ca. 350 Wh (chemische Energie).
• Um den Pufferakku ausreichend schnell nachladen zu können, sollte das BZ-System eine Leistung von mindestens 60 W abgeben können.

(4) Elektrisches
• Die Elektronik sollte möglichst platzsparend und so einfach und energiesparend wie möglich ausgeführt werden.
• Akku und Brennstoffzelle sollten ohne Spannungswandler parallel verschaltet werden. Das Laden des Pufferakkus musste in einem Spannungsbereich von 21,4 bis 24,0V erfolgen. Dieser Spannungsbereich musste daher zum Nennspannungsbereich der Brennstoffzelle passen.

System-Konzept und Aufbau

Im Rahmen der Arbeiten an dem System stellte sich schnell heraus, dass ein voluminöser und schwerer Drucktank als Wasserstoffspeicher nicht in Frage kam.

Die Mitarbeiter des Projektes fanden in den „Hydrostiks“ der Firma Horizon eine ideale Lösung für die Herausforderung der Wasserstoffspeicherung: Die Kartuschen sind leicht verfügbar und bieten eine hohe volumetrische Energiedichte sowie eine hohe Sicherheit im Umgang.

Um eine größere Reichweite oder kürzere Betankungszeiten zu erzielen, wäre bei größerem Raumangebot stattdessen auch ein Drucktank möglich und, vor allem beim Einsatz im Lastenradbereich, sinnvoller.

brennstoffzellenstack_ballardEs werden zwei Brennstoffzellenstacks, Typ FCgen®-micro, von Ballard Power (Kanada) verwendet. Diese zeichnen sich durch eine besonders kompakte und leichte Bauart aus: Die Stacks sind luftgekühlt, nur durch eine Schnurwicklung verpresst und jeder Stack ist kaum länger als ein herkömmlicher Kugelschreiber. Die derzeit als Prototyp klassifizierten Stacks werden üblicherweise nur an Systemintegratoren und OEM’s zur Intergration in Endprodukten geliefert.

Sie sind besonders gut für Anwendungsszenarien geeignet, in denen es auf geringe Baumaße, Haltbarkeit und Energiedichte ankommt – und sind damit ideal für das Projekt geeignet.

Key Features der Stacks

• Sehr kompaktes Design
• Produktgestaltung erlaubt grundsätzlich den Verzicht auf Befeuchter, Kühlflüssigkeitskreislauf sowie Pumpe
• Erhältlich sowohl in einer Ausführung mit Platin- oder nicht-Edelmetallkatalysator

Key Features des Gesamtsystems

• Gesamtmaße: 348x153x47mm
• Leistung Brennstoffzellen-Teilsystem: ca. 70 W im Nennbetrieb, Gesamtsystem 250 W
• Gewicht 3,3 kg, Energieinhalt 270 Wh
• 12 Hydrostiks, zu einem Tank verbunden
• gemeinsame Betankung möglich

Das System kann Wasserstoff mit einem Druck von 1-30 bar als Brennstoff verwenden. Die Umgebungsluft wird mit Lüftern durch die Stacks geblasen und dient sowohl für die chemische Umsetzung als auch zur Kühlung des Systems, als „Abgas“ entsteht nur feuchte Luft.

Die folgende Abbildung stellt das System schematisch dar:

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Wasserstoff wird aus den Metallhydridspeichern entnommen und über einen Druckminderer und ein Hauptventil zu den Brennstoffzellen-Stacks geleitet. Die Luft wird mit Lüftern durch die Stacks gesaugt. Sie wird in den Stacks erwärmt und durch das entstehende Wasser befeuchtet. Beim Ausblasen wird Wärme an die Speicher abgegeben, was eine schnellere Wasserstoff-Entnahme -insbesondere bei kühlen Außentemperaturen- ermöglicht.

Nach Definition der technischen Anforderungen stand die Umsetzung in die Praxis an. Mit den sich daraus ergebenden Herausforderungen beschäftigt sich Teil 2 der Reihe.

Über Fraunhofer ISE

Das Fraunhofer ISE ist mit ca. 1200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern das größte Solarforschungsinstitut Europas. Die Arbeit des Instituts reicht von der Erforschung der naturwissenschaftlich-technischen Grundlagen erneuerbarer Energien, insbesondere der Solarenergienutzung über die Entwicklung von Prototypen bis hin zur Ausführung von Demonstrationsanlagen.

[Abbildungen: Fraunhofer ISE]

Der zweite Teil ist hier, der dritte Teil hier und der vierte Teil hier zu finden.

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Alexander Theis
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