Wie funktioniert Bikesharing? Ein Selbstversuch anläßlich meines Besuchs auf der VeloBerlin 2017.
Vor kurzem wurden die bekannten rot-silbernen Call-a-Bikes der Deutschen Bahn (DB) durch die Lidl-Bikes ersetzt. Dabei handelt es sich aber nicht um einen neuen Anbieter. Es ist vielmehr so, dass die Deutsche Bahn die Infrastruktur stellt und Lidl die Kosten trägt.
Anläßlich meines Besuchs auf der VeloBerlin2017 bot es sich bei dem herrschenden Kaiserwetter an, einen Selbstversuch mit dem Leihradsystem zu unternehmen. Die Aufgabe: Einmal quer durch die Stadt von Tegel nach Kaulsdorf.
Die Basics
Um ein Lidl-Bike nutzen zu können, muss man sich vorab registrieren. Da die DB der Betreiber des Systems ist, kann man sich dort registrieren und kann dann auch alle Call-a-bikes im gesamten Bundesgebiet nutzen. Sehr praktisch.
Idealerweise lädt man sich die kostenlose App auf’s Smartphone. Man kann zwar nach dem Registrieren grundsätzlich auch ohne die App ein Rad entleihen, doch die App bietet einen erheblichen Mehrwert. Doch dazu später mehr.
Wo ist (m)ein Rad?
Kurz nach Verlassen des Flughafengebäudes zeigt ein Blick auf die App: In Laufnähe (zumindest für einen Ortsunkundigen wie mich) ist kein Rad zu finden. Aber in der Nähe von Schloss Charlottenburg.
Also ab in den Bus, Ticket gelöst und an der Bushaltestelle in der Nähe zu einem Rad ausgestiegen. Das hat so ein bisschen was von Geocaching. 🙂
Dank der App kann man seinen eigenen Standort und den des nächstgelegenen Rads sehr genau lokalisieren. Und als ich vor dem Rad stehe geht es ans
Ausleihen
Dafür gibt es zwei Möglichkeiten:
1: Einfach in der App auf „Entleihen“ klicken, die am Rad sehr deutlich angebrachte Nummer eingeben und man erhält einen Freischaltcode. Diesen gibt man auf dem Tochscreen(chen) am Lenker ein, der sich nach einem kurzen Tipp aktiviert.
2: Bei der Hotline anrufen, Nummer durchsagen und Freischaltcode (s. oben) eingeben.
Jetzt nur noch auf den roten Knopf des Rahmenschloß, drücken, selbiges öffnen und die Fahrt kann los gehen.
Tipp: Es bietet sich an, das Rad vorher einem kurzen Check zu unterziehen. Wäre ja unpraktisch ein Rad mit einem Platten zu entleihen…
Und los geht’s
Der Sattel ist für mich zu niedrig. Um den Hebel für die Sattelklemmung zu betätigen braucht es ziemlich viel Kraft, aber immerhin soll der Sattel ja auch ordentlich halten.
Das Rad ist robust und sehr schwer und dementsprechend kein Rennerle. Aber es läuft recht gut, ruhig und stabil, meinen Rucksack habe ich in die Gepäckmulde platziert, um es vorwegzunehmen: Die beiden Gummiriemen hielten den Rucksack jederzeit sicher an seinem Platz.
Die montierten Lenkergriffe sind erstaunlich komfortabel und der geschlossene Kettenkasten sorgt dafür, dass sich das Schmiermittel nur aufhält wo es hingehört, nämlich auf der Kette und nicht am Hosenbein.
Es hat schon einen ganz besonderen Reiz als Tourist relativ früh am Tag mit dem Rad durch die Stadt zu fahren. Die Orientierung erledige ich übrigens mit Bikemap. Zu dieser App in einem späteren Artikel mehr.
Klingelingeling, Klingelingeling hier kommt ein Lidl-Bike
Das Lidl-Bike ist mit allem ausgestattet, was ein Rad in Deutschland so braucht. Manches ist offensichtlich, manches weniger offensichtlich.
Die Klingel beispielsweise ist in einem genoppten Rändelrad untergebracht, das am rechten Ende des linken Lenkergriffs montiert ist. Das liest sich viel komplizierter als es in Wahrheit ist. Und ist sowohl praktisch als auch sehr griffgünstig, wie ich am Potsdamer Platz bemerke.
Front- und Hecklicht wird per Nabendynamo mit Strom versorgt, die Lichtausbeute ist ok, der Kegel der Frontlampe könnte für meinen Geschmack etwas breiter ausfallen.
Mach mal Pause…
Das Frühstück im Café Übersee am Paul-Lincke-Ufer 44 in Kreuzberg habe mir redlich verdient. Danke @Radelmaedchen für den Tipp! Doch da ergibt sich ein Problem: Wie das Lidl-Bike sichern?
Die Lösung: Wird das Rad abgeschlossen, erscheint auf dem Display am Lenker die Frage „Pause?“, einfach auf „ja“ tippen.
Damit ist sichergestellt, dass nicht der nächstbeste mit einer App bewaffnete Mitnutzer das Rad als „frei“ angezeigt bekommt und ich mich nach dem opulenten Frühstück wieder auf die Suche nach einem anderen Rad machen muss. Top!
App-gehängt?
Zugegeben, es war sehr gemütlich im Café Übersee und es kostet mich doch etwas Überwindung, weiterzufahren. Doch mein nächstes Ziel lockt mich auch, also: Rad entsperren und weiter. Dazu einfach auf das Display tippen und den Entsperr-Code eingeben.
Den habe ich mir zwar weder gemerkt noch aufgeschrieben, aber dafür habe ich da die App. Doch die sagt „Der Benutzer ist nicht berechtigt“. Auch ein Neustart von App und Smartphone und die Neuanmeldung an der App hilft nix. Und nun…?
Da fällt mir ein, das man ja auch ohne App ein Rad ausleihen kann, indem man einfach die Telefonnummer gefolgt von der Radnummer anrufen muss. Na, dann mach ich das doch mal. Eine freundliche (Automaten-)Stimme fragt mich, ob ich den Entsperr-Code nochmal wissen will. Exakt genau das was ich will, super! Bevor ich mich jetzt aber auf den Weg mache, schreibe ich mir den Code vorsichtshalber auf…
Bergetappe
Mein nächstes Ziel ist der Große Bunkerberg (Mont Klamott) im Volkspark Friedrichshain. Zum Aussichtsplateau in 78m Höhe windet sich ein Weg, der man auch mit dem Rad befahren darf.
Die am Lidl-Bike verbaute 7-Gang Shimano Nexus-Nabenschaltung reicht für den Aufstieg aus, aber gerade so ohne Wiegetritt.
Oben kann man einen tollen Blick auf die Stadt rundherum geniessen, zumindest solange die Bäume noch keine Blätter tragen.
Wer später bremst…
…ist länger schnell. Das gilt zwar grundsätzlich auf der Rennstrecke, aber, wie schon oben gesagt, ist das Lidl-Bike kein Rennerle.
Deshalb ist es auch ok, dass im Hinblick auf möglichst wartungsarmen Betrieb am Lidl-Bike Rollenbremsen verbaut sind.
Hat man sich, gewöhnt an Scheibenbremsen, die Wirkung dieser leicht angestaubt wirkenden Bremsentechnik „erfahren“, ist aber auch ein schneller Stopp an unerwarteten Sehenswürdigkeiten drin.
Rollenbremsen am Lidl-Bike
Gute Nacht, John-Boy…äh Lidl-Bike!
Nach der Bergwertung geht es langsam auf die Zielgerade. Eigentlich wolle ich das Rad abends zurückgeben und am nächsten morgen ein neues mieten. Aber da ergeben sich zwei Probleme
1. In Berlin gibt es eine Kernzone, in der das Rad kostenfrei zurückgegeben werden kann. Diese Kernzone umfasst den Bereich des Berliner S-Bahn-Rings, ich als Touri habe aber keine Ahnung wo der genau ist.
Dass ich das überhaupt weiß habe ich dem Lesen der AGB auf der Website und der App zu verdanken: Denn da ist die Kernzone mit einem roten Strich gekennzeichnet. Wird das Rad außerhalb der Kernzone zurückgegeben, wird eine Gebühr von 10€ erhoben. Innerhalb der Zone ist die Rückgabe kostenfrei.
2. Mein Hotel liegt außerhalb der Kernzone. 🙁
Die Lösung hiefür ist nach den bisherigen Erfahrungen naheliegend: Ich pausiere den Entleihvorgang die Nacht über und stelle das Rad im Hotel sicher unter.
Im Vorfeld hatte ich den Support der Bahn per Mail am 29.03. 2017 wegen der Problematik angefragt:
Betreff: Berlin, Rückgabe außerhalb S-Bahn-Ring
Die Antwort darauf kam am 03.04.2017, also fünf Tage nach der Anfrage:
Sehr geehrter Herr Theis,
vielen Dank für Ihre E-Mail vom 29. März 2017.
Sobald die Fahrt außerhalb des S-Bahn-Rings beendet wird, erhalten Sie automatisch ein Serviceentgelt in Höhe von 10 Euro. Um dies zu verhindern empfehlen wir, dass Sie das Bike in Fahrtpause stellen und am nächsten Tag wieder ins Kerngebiet bringen.
Die Fahrtpause bestätigen Sie beim Verschließen des Bikes einfach auf dem Fahrraddisplay. Bitte beachten Sie, dass die Fahrtpause als reguläre Buchungszeit gilt, das Bike aber für Sie reserviert bleibt.
Für Rückfragen stehen wir Ihnen gern zur Verfügung.
Ich finde, auf diesen wichtigen, weil mit Kosten für den Kunden verbundenen Umstand sollte deutlicher hingewiesen werden. Denn ein Nutzer ohne App ist da definitiv im Nachteil. Doch auch für alle anderen Entleiher wäre ein deutlich sichbarer Hinweis nützlich. Idee: Da die Räder sowiso über eine Telematik ihren Standort bekannt geben wäre das zum Beispiel auch mit einer roten LED machbar, die das Verlassen der Kernzone anzeigt.
Ich hab da noch ein Bike steh’n in Berlin…
Fazit: Empfehlenswert, aber Achtung wegen der Kernzone!
[Text:[at], Fotos: VeloStrom]

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