Radfahrende, vor allem diejenigen, die mit Lastenrädern, Liegerädern und Kinderanhängern unterwegs sind, haben im Straßenverkehr oft das Nachsehen.
Anders als in bekannten Fahrradnationen wie Dänemark oder den Niederlanden steht bei der Infrastruktur in Deutschland das Auto noch im Mittelpunkt. In einer Gesprächsrunde des pressedienst-fahrrad diskutierten Branchenkenner:innen über mögliche Verbesserungen in der Fahrradinfrastruktur.
Raum für Verbesserungen
In einem waren sich die Teilnehmer:innen einig – bei der Fahrradinfrastruktur gibt es immer Raum für Verbesserungen, unabhängig davon, ob Menschen auf „normalen“ oder auf breiteren bzw. extrem langen Rädern unterwegs sind.
„Wichtig ist eine gute Lösung für alle“, sagt Annika Gerold, Bezirksstadträtin für Verkehr, Grünflächen, Ordnung und Umwelt in Friedrichshain-Kreuzberg. Sie setzt sich dafür ein, geschützte Radfahrstreifen einzurichten, die breit genug sind, dass auch Lastenräder und Fahrradanhänger dort genügend Platz haben.
„Wir diskutieren auch gerade, ob die Radwege so breit sein können, dass Rettungsdienste sie im Einsatzfall als Rettungsgasse nutzen könnten.“ Um die Mobilitätswende in Berlin voranzubringen„ seien in ihrem Fachbereich extra sechs Planungsstellen geschaffen worden.
„Stadtplanung muss kommunenübergreifender funktionieren“
Es tut sich also immerhin etwas. Das ist auch der Eindruck von Carolin Lang, die beim Anhängerspezialisten Croozer für den Bereich PR und Events verantwortlich ist. „Es ist schön zu sehen, dass immer mehr Leute sich dafür entscheiden, Fahrrad zu fahren und auch Anhänger nutzen“, sagt sie. Doch die Infrastruktur habe Luft nach oben. „Die Radwege könnten an vielen Stellen sicherer und besser ausgebaut sein.“
Ein Problem sei etwa der fehlende Lückenschluss. „Da wurde beispielsweise irgendwo ein schicker, richtig guter Radweg gebaut und nach zwei Kilometern endet er abrupt und dann steht man wieder mit Anhänger und Kinderrad auf der Straße. Hier gibt es Verbesserungsbedarf.“ Stadtplanung müsse kommunenübergreifender funktionieren.
Das Bewusstsein bei Kommunen, Fahrrad mitzudenken habe jedoch stark zugelegt, sagt Andreas Hombach von WSM. Das Metallbauunternehmen aus Waldbröl stellt unter anderem Fahrradparksysteme her.
„Bei den Anfragen, die wir erhalten, merken wir, dass auch das Thema Lastenrad in den Überlegungen eine Rolle spielt. Bei Unternehmen hingegen sieht das noch anders aus. Wir versuchen dann immer zu sagen, dass es sich lohnt, Abstellanlagen anzuschaffen, die sich für alle Fahrradtypen eignen.“
Sichtbarkeit spielt eine wichtige Rolle
Matthias Wüstefeld vom ADFC Münsterland gibt unter anderem Kurse für Dreiradfahrer:innen. Er weist neben den typischen infrastrukturellen Hindernissen („Umlaufschranken, schlecht abgesenkte Bordsteinkanten“) auf noch einen ganz anderen Aspekt hin: „Die größte Einschränkung beginnt im Kopf. Viele sagen, sie wollen nicht ‚behindert‘ aussehen und sie wissen nicht, wo sie das Dreirad abstellen können.“
Hier setzt dann vor dem eigentlichen Kurs zunächst Überzeugungsarbeit an. Auch Heiko Truppel vom Liegeradhersteller HP Velotechnik begegnet oft Vorurteilen. Das häufigste lautet: „Mit einem Liegerad wird man doch gar nicht gesehen!“
Seine Antwort: „Wenn da ein Kühlschrank auf der Straße liegt, sieht man den doch auch. Auch den Mittelstreifen auf der Straße sehen Verkehrsteilnehmende ja.“ Für ihn spielt der Aspekt der Sichtbarkeit bei der Fahrradinfrastruktur eine wichtige Rolle. „Man kann nicht überall geschützte Radwege bauen. Dort wo es nicht geht, muss man jedoch dafür sorgen, dass Radfahrende gut gesehen werden, beispielsweise von Lkw-Fahrern auf der Rechtsabbiegerspur.“
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Wunschszenario: Die autofreie Innenstadt
Wenn es nach Svenja Kohnke ginge, würden sich Radfahrer:innen und Lkw am besten gar nicht begegnen. Zumindest, wenn die Produktmanagerin beim Kinderfahrradhersteller Early Rider ihr Wunschszenario für eine ideale Infrastruktur für Kinder entwerfen darf.
Denn das besteht für sie „ganz klar aus einer autofreien Innenstadt. Man könnte Zeitfenster für Berufs- und Lieferverkehr einrichten“. Hilfreich wäre es auch, wenn alle Radwege gleich aussehen würden, so wie zum Beispiel in den Niederlanden. „Kinder lernen visuell und man könnte ihnen dann einfach sagen: Du darfst nur da fahren, wo der Straßenbelag rot ist.“
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Auch der mittlerweile vielerorts tiefsitzende Konflikt zwischen Autofahrer:innen und Radfahrenden war ein Thema. „Wir müssen den Autos den Platz wegnehmen – diese Aussage klingt aggressiv und das finde ich unglücklich,“ sagt Heiko Truppel. Doch Radfahrer:innen müssten sich als emanzipiert behaupten, als gleichwertig: „Wir wollen den Autoverkehr nicht verdrängen, aber unseren Platz auf den Straßen haben.“
Gunnar Fehlau vom pressedienst-fahrrad, der das Gespräch moderierte, fasste es so zusammen: „Ich möchte in einer Infrastruktur, die für zwei Tonnen Metall konstruiert ist, auch sicher mit 20 Kilogramm Fahrrad bzw. Lastenrad und Anhänger unterwegs sein können.“
[Text: PD-F, Fotos: VeloStrom]
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