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Alltag Fahrradinfrastruktur

Verkehrswende: Bike Sharing Systeme für mehr Flexibilität?

Lesezeit etwa 8 Minuten

[at] In diesem Artikel will ich der Frage auf den Grund gehen, inwieweit Sharing Systeme zur Verkehrswende beitragen und wie gut das Angebot von Pedelecs in dem Bereich ist.

Gefühlt taucht jeden Tag ein neuer Anbieter für Bike Sharing in deutschen Großstädten auf. Oft wird das Teilen von Fahrrädern für ein neues Phänomen gehalten, aber die Bahn bietet dies mit „Call a Bike“ tatsächlich schon seit 2001 an.

Wie funktioniert das Bike Sharing?

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Display am Lidl-Bike in Berlin.

Das Ausleihen ist eigentlich ganz leicht. Beinah alle Anbieter haben eine eigene App entwickelt, die schnell heruntergeladen ist. Nach der Anmeldung und der Hinterlegung von Zahlungsdaten kann es direkt losgehen. Am Fahrrad selbst wird dann meist eine Nummer oder ein Code eingegeben oder eingescannt, das Rad entsperrt und du kannst losfahren.

Der größte Anbieter in Deutschland ist Nextbike, die neben eigenem Sharing auch Lizenzen verkaufen und so einen großen Raum abdecken. Generell wird das Netz in Deutschland immer engmaschiger. In Berlin standen im Jahr 2018 geschätzt  etwa 14.000 Leihfahrräder zur Verfügung.

In Berlin habe ich 2017 das Bike-Sharing von Lidl-Bike in einem Selbstversuch getestet – und war begeistert.


lidl-bike_160Selbstversuch: Ein Tag mit dem Lidl-Bike in Berlin

 


Bike Sharing und die Verkehrswende

Gerade für Städte und Kommunen kann Bike Sharing eine hervorragende Lösung sein, um mehr Menschen aus dem Auto heraus und auf das Rad zu bringen. Viele Städte setzen bereits heute entsprechende Projekte um. Der Vorteil liegt klar auf der Hand: Das Rad muss nicht selbst angeschafft werden, was mehr Menschen dazu bringen kann, das Angebot zu nutzen.

Bisher sieht es allerdings so aus, dass die hohen Investitionskosten sich im Vergleich zur Nutzung noch nicht ausreichend rentieren. Häufig wird ein Fahrrad nicht mehr als ein Mal pro Tag genutzt. Hamburg bildet mit 3,5 Nutzungen pro Rad und Tag aktuell eine Ausnahme. Nichtsdestotrotz lässt sich hieran das Potenzial erkennen.

Von stationsgebundenen zu stationslosen Systemen

Die geringe Nutzung der Angebote kann unter anderem auch auf das oft stationsgebundene System zurückgeführt werden.

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meinRad-Station in Wiesbaden.

„Stationsgebunden“ bedeutet, dass die Fahrräder nach Gebrauch wieder an einem speziellen Ort abzustellen sind. Das schränkt die Flexibilität im Vergleich zum Privatrad natürlich ein. Der Vorteil für den Betreiber liegt jedoch auf der Hand: Statt über das gesamte (Stadt-) Gebiet verstreute Räder mühsam zusammenzusuchen, müssen nur feste Stationen angefahren werden um Räder zu reparieren oder umzuverteilen.

Durch chinesische Anbieter sind in den letzten Jahren allerdings viele Angebote von stationslosen Systemen auf dem deutschen Markt angekommen. Damit können die Fahrräder an jedem beliebigen Ort abgestellt werden. Das führt jedoch zu neuen Problemen: Wer hat nicht schon einmal verwaiste Fahrräder irgendwo im Gebüsch liegen oder den Gehweg versperren sehen?

Trotzdem wird das stationslose Bike Sharing System wohl die Zukunft sein. Über Regulierung könnte dafür gesorgt werden, dass die Räder nicht überall herumstehen. So hat Kopenhagen kürzlich eine, unabhängig von der Nachfrage, beschränkte Zahl der geparkten Sharingbikes pro Standort beschlossen. So haben künftig auch große Bahnhöfe wie Nørreport oder der Hauptbahnhof ein Limit von nur 2 Fahrrädern.

Ein andere, aber sehr herausfordernde, Möglichkeit wäre, für mehr Fahrradabstellplätze zu sorgen und die Zusammenarbeit zwischen Städten und Anbietern zu verbessern.  Vertiefende Informationen zum Thema „stationslose Bikesharing-Systeme“ bietet ein PDF der AGORA Verkehrswende.

Bike Sharing für Unternehmen

Gerade für größere Unternehmen kann Bike Sharing auch zu einem tollen Service für die Mitarbeiter werden. Mittlerweile gibt es schon spezielle Anbieter wie movelo, die Full-Service-Lösungen für Firmen anbieten. Hier kann eine ganze Flotte an Bikes gekauft oder geleast werden, dazu gibt es eine passende App, und die Wartung ist auch inklusive. Auf diese Weise kann ein Unternehmen aktiv zu mehr Nachhaltigkeit und zur Verkehrswende beitragen.

Die Vorteile von Bike Sharing

Flexibilität

Ein großer Vorteil ist die Flexibilität. Vor allem in Verbindung mit dem öffentlichen Nahverkehr schneiden Sharing Möglichkeiten gut ab. Die Sharing Stationen befinden sich meist sowieso direkt an Bahnhöfen oder Haltestellen, so dass ein komfortables Wechseln von dem einen auf das andere Verkehrsmittel einfach möglich ist. Mit einem eigenen Rad gestaltet sich dies durchaus komplizierter.

Touristen

Touristen können in den Städten ganz einfach Fahrräder von Sharing Anbietern nutzen, um die Stadt zu erkunden. In den meisten Fällen ist man schneller unterwegs als der restliche Verkehr. Solch ein Angebot macht Städte gleich viel attraktiver für die Besucher. Und es funktioniert gut, wie meine Erfahrungen in Berlin zeigen.

Schutz vor Diebstahl

Das eigene Rad einfach irgendwo abzuschließen, bereitet vielen Menschen leichtes Unbehagen, vor allem wenn es ein hochwertiges und teures Rad ist. Die Angst vor Diebstahl oder Vandalismus ist bei einem geliehenen Rad nicht gegeben.

Nachhaltigkeit

Je mehr ein Fahrrad genutzt wird, umso besser ist dies für die Umwelt. Dies trifft vor allem auch auf Pedelecs zu. Leihräder legen pro Jahr bis zu 10.000 Kilometer zurück. Da muss man schon ein sehr ambitionierter Fahrer sein, um auf diese Strecke zu kommen. Laut einer Statistik von Statista wird ein Leihrad in europäischen Großstädten 463 Mal pro Jahr gemietet. Allerdings stammen die Zahlen aus dem Jahr 2009 – mittlerweile sind sie vermutlich wesentlich höher.

Keine Wartung

Du musst dich nicht um die Reinigung oder Wartung des Rades kümmern und dein Leihrad ist im Großteil der Fälle immer in einem hervorragenden Zustand.

Die Nachteile vom Bike Sharing

Vandalismus

Was als Vorteil für das private Fahrrad genannt wird, muss als Nachteil für das Leihrad gesehen werden. Wenn ein geliehenes Rad beschädigt oder gestohlen wird, muss dich das eigentlich nicht interessieren. Es gab allerdings schon Fälle, in denen Bremsschläuche durchgetrennt worden sind. Deshalb ich es wichtig, vor der Benutzung die Funktionstüchtigkeit des Leihrades zu prüfen.

Die Kosten

Wird das Leihrad täglich genutzt, können die Kosten schnell in die Höhe steigen und der Umstieg auf ein privat genutztes Rad könnte günstiger sein. Bei Nextbike gibt es einen Monatstarif für 10 Euro, in dem die ersten 30 Minuten inklusive sind. Jede weitere halbe Stunde kostet dann einen Euro, maximal 9 Euro pro Tag (Stand 02/2020). Bei diesem geringen Preis kann es, je nach Nutzung, natürlich ein paar Jahre dauern, bis sich die Anschaffung eines hochwertigen privaten Fahrrads lohnt.

Nur in der Stadt

Die meisten Bike Sharing Anbieter stellen ihre Fahrräder nur in den Innenstädten auf. Im ländlichen Bereich oder bereits am Stadtrand ist es demnach häufig schwer, überhaupt ein Leihrad zu finden. Eine Ausnahme ist beispielsweise das Sharing-Angebot „meinRad“ das sich mittlerweile über Mainz, Wiesbaden, Ingelheim und Budenheim erstreckt und auch die weiter draußen gelegenen Ortsteile mit anbindet.

Pedelecs zum Teilen

Aktuell ist es leider so, dass die nur wenige Anbieter Pedelecs zum Leihen im Angebot haben. Aktuell gehören dazu beispielsweise Donkey Republic und Nextbike. Allerdings sind bei allen Anbietern Pedelecs eher die Ausnahme als die Regel. Durch die höheren Anschaffungskosten und aufwendigere Wartung und Pflege sind sie für
viele Anbieter wahrscheinlich aktuell noch nicht interessant. Jedoch dürften Pedelecs als Leihräder gerade für Pendler und Menschen, die auf ihr Auto verzichten wollen, eine attraktive Lösung sein.

Natürlich gibt es auch andere Möglichkeiten, ein Pedelec zu leihen, wie beispielsweise bei emotion technologies. Das ist allerdings längst nicht so komfortabel wie die Sharing Systeme.

Fazit

Bike Sharing kann einen positiven Beitrag zur Verkehrswende in deutschen Städten leisten. Der Umstieg vom Auto aufs Fahrrad ist ganz leicht, weil es nie mehr als eine App braucht, um mit dem Fahren loszulegen. Sharing Räder bieten damit auch eine tolle Möglichkeit, um das Fahrrad als Ersatz erst einmal zu testen.

[Fotos: VeloStrom]

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Alexander Theis