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Fahrrad-Federung aus Gummi: Testfahrt mit einem Erlkönig.

Lesezeit etwa 7 Minuten

Beim Besuch der Jörn GmbH hatte ich die Gelegenheit, die Gummi-Federung fürs Fahrrad zu erfahren – und konnte, als einer der ersten, einen Erlkönig Probe fahren.

Gegenüber einer Gummi-Federung am Fahrrad gibt es viele Vorbehalte. Die allermeisten davon sind unbegründet, wie Kai Reinke, technischer Geschäftsführer der Jörn GmbH, im VeloStrom-Interview darlegte.

Dass die Federung funktioniert zeigt das innovative Cargobike Cargoline der Kettler Alurad GmbH, das seit seinem Erscheinen schon zahlreiche Preise abgeräumt hat. Auch für die innovative Gummi-Federung.

Jedoch ersetzt nichts einen eigenen Eindruck. Genau den konnte ich mir bei einem Besuch der Jörn GmbH in Waiblingen verschaffen, mehr noch: Ich konnte ein noch in der Entwicklung befindliches, weiteres Gummi-Federungs-Produkt als einer der ersten testen.

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Vorführrad mit Jörn-Federung

Jörn GmbH

Die Jörn GmbH wurde 1963 gegründet. Das Entwicklungsbüro konstruierte wartungsfreie Gummi-Metall-Verbindungen zur elastischen Lagerung, Geräusch- und Schwingungsisolierung. Im Jahr 1980 entwickelt Jörn die Schlitzbuchse als neuartiges Konstruktionsprinzip bei Gummifederungen ein und wird bei der Blattfederlagerung 1985 bereits Marktführer. Im Jahr 1990 wird Jörn Systemlieferant unterschiedlicher Baugruppen.

Zu den Kunden zählen bis heute namhafte, große Unternehmen im Fahrzeugbau von LKW, Land- und Baumaschinen sowie Schienenfahrzeugen. Besonders die lange Haltbarkeit und die Wartungsfreiheit der Gummi-Federelemente haben zum Siegeszug der Federungselemente besonders im LKW- und Schienenfahrzeugbau beigetragen.

Gummi-Federung fürs Fahrrad

Im Verlauf einer langen Autofahrt von Kai Reinke mit seinem Kollegen Thomas Uhlig keimte die Idee, das Wissen über den Werkstoff Gummi auf eine Fahrradfederung zu übertragen. Beide, Reinke und Uhlig, waren in ihrer Vergangenheit ambitionierte Radsportler. Daher wissen sie, worauf es bei einem solchen Vorhaben ankommt. Aus der Idee entstand ein Erprobungsträger und Vorführrad, das ich beim Besuch zur Probe fahren konnte.

Das Vorführrad ist mit der Jörn-Hinterradfederung ausgestattet und verfügt zudem an der Front über eine Steuerrohfederung auf Basis eines PU-Schaumes, wie er beispielsweise beim PKW als Anschlagpuffer beim Federbein verwendet wird.

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Gabelschaftfederung des Testbikes der Jörn GmbH

Die Federwege bei der Jörn-Federung sind vergleichsweise moderat, sie betragen 10-15 Millimeter. Das reicht nach den Erfahrungen der Entwickler im Trekkingbereich durchaus aus, um die Fahrt über Kopfsteinpflaster oder Unebenheiten auf Feldwegen komfortabel abzufedern.

Optisch prägendes Merkmal der Jörn-Hinterradfederung ist die Rahmenstruktur am Heck, in der das „V-Lager“ genannte Federlement der Hinterhand eingebaut ist. Der etwas voluminösere Tretlagerbereich, der die Schlitzbuchse und das eigentliche Tretlager aufnimmt, fällt optisch nicht so sehr ins Gewicht. In den hinteren Ausfallenden verbergen sich ebenfalls kleine Schlitzbuchsen, ansonsten steht ein, im positiven Sinn, eher unauffälliges Trekkingrad vor mir.

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Hinteres Ausfallende am Vorführrad.

Probefahrt mit dem Erprobungsträger

Beim Aufsteigen und Losfahren fühlt sich das Jörn-Bike an wie jedes andere Fahrrad auch, nichts wirkt schwammig oder weich. Das Firmengelände der Jörn GmbH liegt an einem Hang, deshalb geht es direkt zum Start bergauf. Ich gebe es zu, ohne E-Antrieb ist das etwas ungewohnt. Konstruktionsbedingt eignet sich die JörnHinterradfederung übrigens am besten für einen Hinterradnabenmotor. Der Grund: Der Drehpunkt der Schwinge liegt im Tretlager.

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Jörn-Federung: Tretlagerbereich am Vorführrad.

So ganz ohne E-Unterstützung muss ich direkt in den Wiegetritt. Die Federung ist dabei kaum wahrnehmbar, das Bike ist tatsächlich sehr steif. Der erste Kanaldeckel zeigt sich und ich bin instinktiv versucht, ihn zu umfahren. Doch halt, das Bike hier ist ja gefedert, also fahre ich drüber und merke deutlich weniger von dem Deckel als auf einem nicht gefederten Fahrrad.

Ein paar Dutzend Meter weiter geht es in einen betonierten Feldweg. Irgendwer hat einen Wasserschlauch quer über den Weg gelegt und pumpt Wasser von A nach B. Beim Überqueren des prall gefüllten Schaluchs fühle ichdie Lenkerfederung des Testbikes arbeiten und das Gröbste wegfiltern, die Hinterradfederung scheint aber deutlich schluckfreudiger zu sein.

Es geht ein Stück geradeaus, der Weg ist in erstaunlich gutem Zustand. An der nächsten Gabelung biege ich rechts ab und tatsächlich: Hier zeigen sich ein paar Absätze und Flicken. Es geht leicht bergan, mein Tempo ist vergleichsweise gering, trotzdem ist die Federwirkung auf den Absätzen zu spüren. Ein paar Minuten später, auf dem Weg bergab, ist die Wirkung deutlicher. Kein Wunder: Die höhere Geschwindigkeit erzeugt einen stärkeren Impuls.

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Größenvergleich einer Schlitzbuchse, ähnlich der im Ausfallende des Testbikes.

Um es klar zu sagen: Die Jörn-Federung macht aus dem Bike keine Sänfte, man spürt den Untergrund noch, es werden aber die Spitzen deutlich wahrnehmbar weggefiltert. Und zwar mehr, als das ein starrer Stahlrahmen oder ein nach Kraftlinienverlauf laminierter Carbonrahmen könnte. Das führt zu weniger Ermüdung beim Fahren – und hält auch Sportfahrer länger leistungsfähig.

Fahrt mit einem Erlkönig

Als ich wieder beim Gebäude der Jörn GmbH ankomme, wartet Herr Reinke auf mich. Er hat ein MTB dabei, das auf den ersten flüchtigen Blick völlig normal aussieht. Mit einem Lächeln weist er mich darauf hin, dass auch dieses Rad über eine Federung verfügen würde: Am Vorbau.

Tatsächlich sehe ich jetzt, was er meint: Im kurzen Vorbau, wo normalerweise der Lenker geklemmt ist, ist eine Schlitzbuchse geklemmt. An den Seiten ist, ähnlich der Schwinge bei der der Jörn-Hinterradfederung, ein weiterer Vorbau befestigt, in den schließlich der Lenker geklemmt ist.

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Erlkönig Jörn-Lenkerfederung

„Es handelt sich hier um unser neuestes Produkt. Auf diese Weise realisieren wir eine wartungsfreie Lenkerfederung, die auch nachrüstbar sein wird.“ erklärt Kai Reinke. „Das Produkt ist noch in der Entwicklung, wollen Sie das Bike auch mal fahren?“

Natürlich lasse ich mir die Gelegenheit nicht entgehen! Also wieder im Wiegetritt den Berg hinauf. Die Bewegung im Lenker ist ungewohnt: Er bewegt sich im Wiegetritt nach oben und nach unten. Später erklärt mir Herr Reinke, dass dieses Verhalten noch abgestellt werden wird. Beim Überfahren des Schlauchs (es wird immer noch Wasser gepumpt) merke ich, dass diese Lenkerfederung deutlich mehr Komfort bietet als die Lenkerschaftfederung des Jörn-Vorführbikes. Ich nehme die gleiche Strecke wie bei der ersten Fahrt unter die Räder. Auch bei langsamer Fahrt ist die Wirkung gut zu spüren: Der Lenker dämpft die Unebenheiten des Untergrundes weg, an die Bewegung des Lenkers gewöhne ich mich rasch. Bei schnellerer Fahrt bergab ist die Wirkung der Jörn-Lenkerfederung natürlich noch deutlich ausgeprägter.

Als ich wieder bei Herrn Reinke ankomme, sieht er mein breites Grinsen schon von weitem: „Diese Lenkerfederung überzeugt mich noch mehr als die Gabelschaftfederung des Vorführbikes!“ Auch wenn sie sicherlich noch etwas an Entwicklung braucht, sehe ich in dieser Lenkerfederung großes Potential, vor allem, weil sie nachrüstbar und wartungsfrei ist.

Fazit

Beide Bikes haben mich überzeugt, die Jörn-Federung funktioniert und das sehr gut! Wenngleich die Wirkung der Lenkerfederung des Erlkönigs mich noch mehr überzeugte als die Gabelschaftfederung des Trekkingbikes. Und dass, obwohl sie noch in einem recht frühen Entwicklungsstadium vorlag.

Dass die Federung auf die unterschiedlichen Belange von Bike-Herstellern abgestimmt werden kann, zeigt die erfolgreiche Entwicklung des Cargobikes von Kettler Alu-Rad.

Gerade im immer weiter boomenden Sektor von Gravelbikes und Commuterbikes bietet die Jörn- Federung eine sehr gute Möglichkeit für Hersteller, unverwechselbare (e-)Bikes mit Alleinstellungsmerkmal auf die Räder zu stellen.

Für Kontaktanfragen steht Kai Reinke telefonisch unter 0049-7151 – 3686 – 0 oder per Email unter [email protected] gerne zur Verfügung. Mehr Infos zur Jörn GmbH gibt es online: www.joern-gmbh.de

[Text [at], Fotos: VeloStrom]

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Alexander Theis
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