Ein Interview mit Luca Burzio, dem Industrial Designer der THOK E-Bikes.
Gründer des italienischen Unternehmens THOK sind Stefano Migliorini, ehemaliger Champion der internationalen Downhillszene, und Livio Suppo, Hauptdarsteller des Erfolgs von Honda und Ducati in der Moto GP. THOK E-Bikes ist Teil der TCN-Group, einer Industriegruppe unter der Leitung von Giuseppe Bernocco und Sebastiano Astegiano.
Wie entsteht ein e-Mountainbike in solch einem illustren Umfeld? Wer entscheidet, was die E-MTBler überzeugt? Das erzählt Luca Burzio, 44jährigen Produktingenieur aus Turin, der maßgeblich an der Entstehung der THOKs beteiligt ist.
Das Motto von THOK ist „Performance first“ – also „Leistung geht vor“. Ist das nur ein Slogan oder steckt da mehr dahinter?
Fangen wir ganz von vorne an: Zuallererst definiert THOK das Fahrrad, das konstruiert werden soll. Dabei wird festgelegt, was das Fahrrad alles können soll, soll es ein Urban Bike, ein Mountainbike oder ein Enduro werden, denn jeder Typ erfordert eine andere Geometrie.
Unser Motto lautet: Ein Fahrrad soll die Bedürfnisse des Radfahrers erfüllen und nicht den jeweils vorherrschenden Modetrend. Stefano Migliorini, der Geschäftsführer von THOK, nimmt daher als Ausgangspunkt für die Entwicklung des Produkts die Anforderungen seiner Endbenutzer, denn auch er ist in erster Linie ein Biker, also einer der das Fahrrad benutzt.
Trotzdem wird bei den THOKs das Design nicht vernachlässigt…
Richtig. Nachdem entschieden wurde, „was das neue THOK können soll“, also welche technischen Eigenschaften es aufweisen soll, wird darüber nachgedacht, „wie es sein soll“. In dieser Phase arbeiten wir zu dritt: Stefano bestimmt die Spezifikationen, die das Fahrrad besitzen muss, um höchste Leistungen zu erbringen, Aldo Drudi definiert den Stil des Bikes und ich bin derjenige, der Stefans technische Vorgaben mit Aldos ästhetischen Kreationen in einem Konstruktionsentwurf eins werden lässt. Ja, Design ist ziemlich wichtig. Deshalb setzt THOK auf einen so erstklassigen Designer wie Aldo Drudi, der seit Jahren die Sturzhelme von Valentino Rossi kreiert.
Und was passiert, nachdem der Konstrukteur die Lösung gefunden hat?
Jetzt kommt der Computer zum Zuge, um mit Rapid-Prototyping-Techniken ein erstes 3D-Modell vom Fahrrad zu erstellen. Zum Glück bin auch ich ein Radfahrer, was bei der konstruktiven Umsetzung der Vorstellungen von Stefano ziemlich hilfreich ist. Ich verstehe mich ausgezeichnet mit ihm und weiß sofort, was er meint. Wir kennen uns schon lange und haben viele Jahre zusammen gebikt. Uns verbindet dieselbe Leidenschaft fürs Fahrrad und wir sprechen daher ein und dieselbe Sprache: Das ist ein großer Vorteil.
In dem Projekt steckt viel Italien. Ist das ein Nachteil oder ein Vorteil?
Der Sitz von THOK ist in den Langhe, wo Arbeiten bedeutet effizient und konkret zu sein. Zwei der Gesellschafter, Bernocco und Astegiano, sind aus den Langhe (Anm. d. Red.: Italienische Landschaft im Piemont). Ich, Migliorini und Suppo sind aus Turin, der ersten Hauptstadt Italiens: Wir sind also alle drei mit „Vitello Tonnato“, „Bagna Cauda“ und „Gianduiotti“ groß geworden und sprechen somit dieselbe Sprache. So war auch die Wahl von Drudi als Designer kein Zufall: Der Gewinner des Designpreises Compasso d’Oro ist zwar eine Persönlichkeit von internationalem Ruf und ein Mann von Welt, aber seine Wurzeln hat er in Italien.
Das „Made in Italy“ ist durchaus ein fester Bestandteil unserer Unternehmensphilosophie. Unsere gemeinsame Herkunft erleichtert die Zusammenarbeit, selbst wenn alle viel in der Welt rumgekommen sind und auf der ganzen Welt Bestätigung gefunden haben. Bei Thok sind alle absolute Fahrradnarren, vom Mechaniker bis zum Geschäftsführer und Social-Media-Manager. Ich bin da keine Ausnahme.
Du hast auch mit anderen Fahrradmarken gearbeitet. Was unterscheidet THOK von den großen Industriegruppen?
THOK ist eine handwerklich arbeitende Fahrradmanufaktur und das hat durchaus Vorteile gegenüber größeren Unternehmen. Vor allem können wir dank einer schlanken Unternehmensorganisation schnell reagieren.
Die Zugehörigkeit zur TCN-Group, einem soliden und starken italienischen Industriekonzern, hilft dagegen beim Prototyping und Testen der Komponenten. THOK vereint also die Vorteile eines jungen und schlanken Unternehmens mit den technischen und praktischen Möglichkeiten eines multinationalen Konzerns.
Dann haben wir einen Geschäftsführer, der Fahrräder nicht nur konstruiert, sondern zum Testen selbst auf den Sattel springt, und der dir dann genau sagen kann, was für ein reaktiveres Kurvenfahren oder für den richtigen Antrieb beim Bergauffahren verändert werden muss. Und mit Personen wie Aldo Drudi und Livio Suppo zu arbeiten, dem weltweit meistgekrönten Moto-GPTeam, ist … „ziemlich cool“, wie die Jugendlichen sagen würden!
Heute spielt sich dein Leben zwischen Italien und Deutschland*, 650 Kilometer von Alba entfernt, ab. Wie klappt es das mit der Zusammenarbeit?
Stefano und ich arbeiten oft zusammen in Ligurien, wo ich ein Haus habe. Finale und Pietra Ligure, die Enduro-Rennstrecken der World Series dort und der offene Blick aufs Meer sind geradezu ideal, um Neues auszudenken und Prototyps zu testen.
Stefano und ich treffen uns oft in meinem Haus und arbeiten dann am PC, testen neue Ideen direkt auf dem Bike, arbeiten weiter am PC, um uns sofort wieder aufs Rad zu setzen, sobald ein Zweifel aufkommt.
*Luca Burzio arbeitet auch beim 360degrees Engineering GmbH in Fischbachau/Nähe Schliersee
Du kommst aus der Luftfahrttechnik und bist ein Automobilliebhaber: beides sehr konstruktionslastige Branchen. Sind Fahrräder leichter zu entwickeln?
Ganz im Gegenteil! Der Ansatz ist ein anderer, wodurch so manches beim Fahrrad komplizierter wird.
Wer aus der Welt des Automobils kommt, hat sich zum Beispiel noch nie dem Problem unterschiedlicher Rahmengrößen stellen müssen. Bei den Autos gibt es das nicht. Fahrräder werden dagegen in mehreren Größen angeboten. Das bedeutet, man konstruiert Rahmenteile, die sich an unterschiedliche Körpergrößen anpassen müssen.
Mit der Integrierung von Akku und Motor im Rahmen ist heute eine weitere Komplikation dazugekommen, denn einige Komponenten können dadurch nicht mehr verkürzt werden. Ein Akku kann nicht komprimiert werden, weshalb das Unterrohr eine bestimmte Länge haben muss, damit er darin Platz findet. Bei kleinen Größen ist das ein ziemliches Problem. Seitdem wir den 630Wh-Akku einbauen, ist die Größe Small fast ganz verschwunden, da sie kaum realisierbar ist. Natürlich ist ein XL stabiler und ein S wendiger, doch das Fahrrad muss in allen Größen dieselben Eigenschaften haben und dieselben Leistungen erbringen.
THOK hat beim MIG und beim TK01, dem neu auf den Markt gebrachten Enduro-Bike, folgenden Weg gewählt: Alle Rahmen von S bis XL haben das gleiche Unterrohr und die gleiche Motorhalterung, die Akku und Motor genug Platz bieten, ganz nach unserem Motto „Performance First“. Beim TK01 haben wir uns der Schnittstelle zwischen „Viper head“, Lenkerrohr und dem Unterrohr bedient, um bei allen Rahmengrößen die gleiche Neigung des Unterrohrs und eine unveränderte Geometrie garantieren zu können.
Wie lange braucht die Konstruktion ein neues E-MTB?
Bei THOK planen wir dafür zwei Jahre ein. Das Konzept des „Modelljahrs“ haben wir schon immer abgelehnt. Wir haben uns dafür entschieden, eine geringe Anzahl an überzeugenden Modellen mit langer Lebensdauer zu bauen. Es ist ein langer Weg mit stets vielen Entwürfen, mehreren Prototypen und manchmal auch mit konstruktiven Kehrtwendungen, bis alles steht. Doch die vielen Stunden gemeinsamer Arbeit am Zeichentisch werden durch Bikes mit langer Lebensdauer belohnt.
Wie baut ihr die Prototypen?
Wie schon gesagt, THOK E-Bikes gehört zu einem großen Industriekonzern, wodurch wir bei Bedarf ganz unkompliziert Prototypen von Komponenten bei einer der Schwestergesellschaften anfertigen lassen können. THOK ist eine kleine Firma, die aber wie ein multinationales Unternehmen arbeitet und sehr experimentierfreudig ist.
Was meinst du, wenn du sagst, THOK arbeitet wie ein multinationales Unternehmen?
Mit seiner schlanken Unternehmensorganisation kann sich THOK schnell und problemlos Veränderungen anpassen. Die großen Marken reagieren dagegen viel schwerfälliger auf Änderungen. Gleichzeitig steht THOK eine solide Unternehmensgruppe wie die TCN Group zur Seite, wodurch es eventuelle Lieferverzögerungen von Zulieferer wettmachen und neue Projekte ohne größere Verlangsamungen durchziehen kann.
Technische Lösungen auf Probleme zu finden, die bei der Konstruktion eines neuen E-MTB normalerweise auftreten, ist kein Kinderspiel, vor allem nicht für junge und kleine Unternehmen wie THOK eins ist. Wir sprechen nicht von großen Kolossen, die über Entwicklungszentren, Konstruktionsbüros und viel Personal für die Konzipierung verfügen. Bei THOK sind nur wenige Personen an der Entwicklung beteiligt, die zum Ausgleich aber umso mehr Erfahrung und Leidenschaft mitbringen und in der Lage sind, revolutionäre Ideen auszutüfteln.
Nehmen wir zum Beispiel das MIG und die geniale Idee, den Akku unter dem Unterrohr anzubringen, damit der Schwerpunkt tiefer liegt, was noch heute eines der Markenzeichen von THOK ist. Noch vor vier Jahren trugen alle E-Bikes den Akku auf dem Unterrohr. THOK war der erste Hersteller, der ihn halb in den Rahmen integrierte und mit einer Abdeckung versah. Ich erinnere mich noch daran, als ich zum Testen und Ausarbeiten des ersten MIG-Modells wegen einer Lieferverzögerung des Shimano E8000-Motors einfach eine Attrappe mit demselben Umfang erstellte, damit Stefano das Bike fahren und testen konnte. Die Attrappe wurde in wenigen Stunden in einer der Werkstätten von TCN angefertigt.
Ein anderes Beispiel für eine innovative Idee ist das neue „Viper Head“-Oberrohr und der extrabreite 1.8-Zoll-Steuersatz des TK01: Eine wahre Revolution im Steuerbereich der E-Bikes. THOK ist unbestreitbar ein wagemutiges und brillantes Unternehmen, das nicht davor zurückschreckt, neue Wege zu gehen.
Schon immer brachte es mit Courage innovative und alternative technische Lösungen auf den Markt, die berühmtere Firmen nicht zustande brachten.
Wie sieht der nächste Schritt aus?
Selbst wenn die Nachfrage auf dem Markt gestiegen ist, macht die Covid-Pandemie auch der Bike-Industrie das Leben schwer. Es wird für alle schwierig werden, in nächster Zukunft neue Ideen zu entwerfen und zu planen. Aber als Biker wissen wir von THOK, dass man, um das Gleichgewicht zu halten, in die Pedale treten muss und nie anhalten darf.
Mehr zu THOK gibt es hier online.
[Text & Fotos: Thok]
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